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Die schlafende Stadt

Die schlafende Stadt

Titel: Die schlafende Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Steiner
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hätte mich gefreut, dich dort zu sehen.“
    „Ich missbillige dies. Das weißt du.“
    „Ja. Doch es schmerzt mich.“
    „Schmerzen gehören zum Leben dazu. Du wirst dich daran gewöhnen müssen. Schmerzen, Verzicht und Entbehrung.“
    Wolfgang Nachtmann hatte nicht vor zu diskutieren. Er würde heute Tatsachen schaffen. Er blickte auf den Cellokasten in der Zimmernische.
    „Zeige mir doch mal dieses Instrument, das für dich offenbar alles, ist wogegen ich nichts davon verstehe.“
    Harald öffnete den Kasten und holte das Cello heraus. Ein altes, ungarisches Instrument, das seine Lehrerin aus einer ihrer unerschöpflichen Quellen heraus für ihn besorgt hatte. Dunkel war das Holz, fein gemasert, von einem wundervollen, satten Klang. Seit Harald es besaß, schien es wie von selbst zu spielen.
    Sein Vater nahm es in die Hand. Also dies war das Objekt seines Hasses. Damit verbrachte sein Sohn seine Zeit, verschwendete seine Intelligenz, sein Können für etwas, das kurzfristig die Ohren einiger Leute erfreute, um dann nichts, gar nichts zu hinterlassen.
    „Mir ist zu Ohren gekommen, dass du mit einem Juden aufgetreten bist.“
    „Er ist ein guter Musiker. Nur das hat mich interessiert.“
    „Siehst du, genau da sehe ich ein Problem. Du bist naiv und weltfremd. Es wirft ein schlechtes Licht auf uns, wenn du so weitermachst. Es schadet meinem, unserem Ansehen. Du bringst uns sogar in Gefahr.“
    „Seit wann bist du ein Nazi?“
    „Ich bin kein Nazi. Die Nazis sind eine Gruppe von Verbrechern und Idioten. Sie werden zunächst einmal für Ordnung sorgen in diesem gebeutelten, geknechteten Staat. Und dann werden sie sehr schnell wieder verschwinden. Solange bediene ich mich ihrer.“
    Er heftete seine grauen, stechenden Augen auf seinen Sohn.
    „Unsere Aufgabe besteht darin, unser geschundenes Land wieder groß zu machen. Wir können es uns nicht erlauben, Wohltäter zu spielen für diese Juden, die doch nur unsere Schwäche für ihre Zwecke ausnutzen. Ich habe grundsätzlich nichts gegen sie. Ich muss aber auch nichts für sie tun.“
    „Seit wann unterwirfst du dich dem Diktat einer Partei?“
    Nachtmann schien ruhig, aber die entnervende Aufsässigkeit seines Sohnes ließ einen frostigen Zorn in ihm wachsen, der langsam und stetig in jede Muskelfaser hineinfuhr.
    „Ich unterwerfe mich nur einem: Gott dem Herrn – was diese Juden alle nicht tun. Und den Notwendigkeiten, die uns und unsere Familie schützen“, sagte er jetzt ungewöhnlich scharf, ohne die Lautstärke seiner Stimme auch nur einen Deut zu steigern.
    „Diese Juden kamen sowohl einst und jetzt von weit her, und gnadenhalber nahmen wir sie bei uns auf, wogegen sie andernorts gehasst und verfolgt wurden. Nicht ohne Grund, wie mir zunehmend deutlich wird. Denn nun sitzen sie zwischen uns wie die Parasiten, und sie verströmen ihr Gift, das unser Volk lähmt und aussaugt, während es ihnen selbst besser und besser geht. Sie nutzen unsere christliche Nächstenliebe aus, während sie sich lediglich selbst verpflichtet sind. Das muss aufhören! Ich nutze lediglich die Zeichen der Zeit. Und du wirst das auch tun!“
    Er hatte nun schon viel zuviel geredet und gedachte nun, die Sache zu einem klaren Ende zu bringen.
    „Dies ist dein letztes Konzert gewesen.“
    Harald wusste: dies war keine Bitte, auch kein Befehl. Es war eine Tatsache, einfach, weil sein Vater dies so beschlossen hatte.
    Nachtmann fixierte das Violoncello in seiner Hand. Dann legte er es vor sich hin und starrte es an.
    Langsam hob er sein Bein.
    Ehe Harald es verhindern konnte, hatte er mit aller Kraft zugetreten. Mit seinem ganzen Körpergewicht durchbrach er den Korpus, das alte, ehrwürdige Holz splitterte, die Saiten gaben einen letzten, jammervollen Klang von sich.
    Haralds Schrei erstickte in seiner Gurgel. Sein ganzer Hals wurde eng und verkrampft. Ein tiefer, gnadenloser Schmerz breitete sich von seinem Magen in Richtung seines Rachens aus.
    Der zweite Tritt vergrößerte das Loch und verwandelte das wunderbare Instrument endgültig in etwas Totes.
    Ohne eine Miene zu verziehen schüttelte Nachtmann einzelne Splitter von seiner straff gebügelten Hose.
    Harald sah alles wie durch einen Nebel. Ein heftiges Gefühl von Qual wallte in ihm auf, als wolle seine Seele brennen. Sein Kiefer zitterte, doch er zwang sich, die Tränen zurückzuhalten.
    Sein Vater fixierte ihn ungerührt.
    „Ich betrachte diese Unterredung als beendet“, sagte er. „Du wirst deine Zeit künftig in

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