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Die schlafende Stadt

Die schlafende Stadt

Titel: Die schlafende Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Steiner
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Der gesamte Kopf löste sich und rollte die Schräge hinab. Polternd sprang er über die Brüstung und schlug nach einigen Sekunden dumpf auf dem Hofboden auf.
    Darius ging schneller. Das Grauen hatte ihn gepackt. Melmoth huschte ihm vorweg, er schien keinerlei Probleme mit dieser Umgebung zu haben. Gequält stellte er fest, dass er über sämtliche Leiber hinwegsteigen musste, um nach unten zu gelangen. Die gesamte Galerie, das er durchquerte, war vollbesetzt, wie er jetzt feststellte.
    Endlich erreichte er den Innenhof. Dort war das Ausgangsportal. Es ächzte nur ein wenig, aber die schweren Torflügel gaben auf Darius’ vehementes Ziehen nach.
    Keuchend lehnte er sich an die Außenmauer.
    Dies also war der ihm so vertraute Turm, an dem er unzählige Male vorbeigegangen war. Voller Ekel entfernte er sich von der gewaltigen, klobigen Mauer.

    Nochmals besann er sich auf die Schönheit des Tageslichtes. Das Meer gab ihm den angenehmen Duft des Lebens zurück. Er fühlte Harlans geheimnisvollen Umschlag an seiner Brust.
    Bald hatte er Valdemars Schlund erreicht. Erik wartete auf ihn wie verabredet.
    „Sie sehen verstört aus, Darius.“
    Darius war nur überglücklich, jemand Lebendigen zu erblicken – oder was Erik auch immer war.
    Erik lächelte.
    „Ich vermute, Sie sind auf ein paar Wesen getroffen, gegen die selbst ich eine Schönheit bin.“
    Darius konnte nicht umhin, ihm aus ganzer Seele beizupflichten.

    Darius lag einmal mehr unruhig auf seinem Lager. In seinen verstörten Geist mischte sich aber auch zunehmend die wunderbare Welt des Lichtes und der Farben, die er für sich erschlossen, vielmehr zurückerobert hatte. Er dachte an den blauen Himmel, die weißen Wolken, die wie Segelschiffe auf einem endlosen Ozean dahintrieben, auf ihren Reisen in endlose Ferne, bis dass sie das Meer berührten um hinter den Horizont zu blicken, und all die Welten zu schauen, die dahinter auf sie warteten. Er dachte an die blitzenden Schaumkronen der Wellen, ihr Rauschen und das sanfte und doch ungezähmte Schlagen an den Felsen und an der Hafenmauer. An das wundervolle türkisfarbene Wasser im Hafenbecken, blaugrünlich schimmernd und klar.
    Er stellte sich vor, mit jener schönen Frau dort zu sein. Sie gingen Hand in Hand, und der Wind wehte in ihrem schwarzen Haar, die Sonne erstrahlte in ihren grünen Augen. Er spürte ihren warmen Körper an dem seinen, und sie lächelte ihn an mit ihrem sinnlichen, roten Mund. Arm in Arm standen sie dann am Strand, das warme Wasser umspielte ihre nackten Füße, und gemeinsam schauten sie hinaus aufs Meer. Er drückte sie an sich, und sie duftete nach Blüten, Salz und Sonne.
    Darius verspürte ein neues Gefühl. Er entdeckte, dass er hungrig war. Gemeinsam stiegen sie eine felsige Treppe hinauf, zu einem schönen, weißen Haus in Strandnähe, ganz anders als die düsteren Gebäude der Stadt. Schöne bunte Vögel flogen dort umher, und die sonnenbeschienene Terrasse bot einen phantastischen Blick auf die ganze Bucht. Dort stand ihr Tisch, und sie saßen sich gegenüber. Man brachte ihnen zu trinken und sie sahen sich an. Er griff nach ihrer schlanken, warmen Hand, und sie streichelte die seine. Dann küssten sie sich. Er spürte deutlich die Berührung ihrer sinnlichen Lippen, spürte ihren leicht geöffneten Mund, ihren Atem. Plötzlich spürte er seinen Herzschlag. Wahrhaftig, sein Herz schlug, lebhaft und ungestüm. Hier, bei diesen Lippen, in diesen Händen, diesen Augen, bei dieser Seele war er zu Hause. Es war ihm, als sei er von einer langen Reise mit vielen Irrwegen nach Hause zurückgekehrt.

Die gewaltigste aller Ängste ist die irrationale Angst, weil sie sich nicht mit den Mitteln der Vernunft beherrschen lässt. Sie ist stärker als die reale Angst, unberechenbarer und überwältigender, dabei völlig unangreifbar, und sie erscheint wie ein Dämon, der sich unser bemächtigt, um uns zu peinigen. Denn sie gehört nicht in das Hier und Jetzt, sondern zu einer vergangenen Zeit, die so wirkt, als sei sie noch gegenwärtig. Und oftmals gehört sie nicht einmal zu uns selbst.
    Fritz A. ROSENZWEIG, Der entzauberte Dämon

    L enis warmer Körper ruhte schlafend in Bertholds Armen. Ihr Arm lag auf seinem Bauch. So friedlich und entspannt sah sie womöglich noch schöner aus als sonst, falls das überhaupt möglich war.
    Er selbst hatte den Rest der Nacht in einem Halbschlaf verbracht, einerseits noch völlig berauscht von seinem Glück, andererseits noch etwas unruhig, denn

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