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Die schlafende Stadt

Die schlafende Stadt

Titel: Die schlafende Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Steiner
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einem Orden vorzustehen, der doch nur zum Ziel hatte, zu herrschen, und sich dabei der Angst und des Schreckens bediente? Ja, er verurteilte diese Ratten der Nacht, und doch taten seine Bediensteten nichts anders, als hinterhältig und rattenhaft in den unterirdischen Gängen zu lauern und ihr vernichtendes Werk zu tun.
    Wo nur mochte Harlans Schlafstatt sein?
    Eine kleine Tür an der Seite führte Darius ein paar Stufen hinunter in eine kapellenartige, achteckige Kammer mit hohen, gotischen Fenstern. Darin befand sich ein kleiner Sekretär mit einem Stuhl davor, von dem man einen weiteren Blick aufs Meer hatte, genauer gesagt direkt auf den Signalturm an der Hafeneinfahrt. An der einen Wand war ein Bücherregal, in dem einige recht neu aussehende Bücher und Hefte standen.
    Darius griff neugierig nach dem ersten Band.
    Es handelte sich nicht um in Lettern Geschriebenes, sondern um eine Partitur.
    Noten!
    Erst jetzt erkannte Darius jenes spiralförmige, kleine Ornament auf seinem Tempelportal wieder. Es war ein Violinschlüssel. Auf dem Klavierpart war er zu sehen, in jeder neuen Zeile. Jetzt war es ihm, als habe er dies nie vergessen gehabt. Auch der Bassschlüssel, indem der Solopart notiert war, war ihm jetzt wieder so vertraut, wie als sei seine Erinnerung daran nie weg gewesen.
    Er sah auf den Titel. Es handelte sich um eine Cellosonate von Wolfgang Amadeus Mozart.
    Mozart! Er hatte selbst Werke von Mozart gespielt!
    In seinem Inneren öffnete sich eine weitere Tür zu einem bisher lange versunkenen Land. Mehrere Melodien kamen ihm in den Sinn.
    Was nur hatte Harlan mit Musik zu schaffen?
    Darius war jetzt äußerst wach und erregt. Er besah sich die wenigen anderen Werke in dem Regal. Als nächstes fand er eine Enzyklopädie über Pflanzen des Alpenraumes, mit einem Titelbild, das eine schneeweiße, sternenförmige Blume zeigte, und im Hintergrund einige bizarre, schneebedeckte Berge, deren Anblick ein eigenartiges Unbehagen in ihm auslöste. Wieder spürte er dieses Frösteln, das ihn zuweilen überfiel.
    Ein weiteres Buch waren „Grundlagen des XIX. Jahrhunderts I & II“, von Houston Stewart Chamberlain, dann „Der Mythus des 20. Jahrhunderts“, eines gewissen Alfred Rosenberg, ferner eine Baustilkunde und ein mehrbändiges, stark abgegriffenes Werk mit dem poetischen Titel „1000 und eine Nacht“.
    Melmoth nestelte derweilen an dem Schlüssel des Sekretärs. Dies brachte Darius dazu, ihn zu öffnen. Er enthielt einige Seiten sauberes, weißes Briefpapier, sowie einen großen, braunen Umschlag, in dem ein paar zusammengefaltete Zettel waren, offenbar Briefe und Zeitungsausschnitte.
    Darius steckte den Umschlag in seine Brusttasche. Er würde den Inhalt in Ruhe untersuchen.
    Er sah aus dem Fenster. Die Sonne stand hoch am Himmel. Es mochte bald Mittag sein. Sein Blick fiel auf den Boden der Kammer. Natürlich, da war auch eine dieser Falltüren in das Kanalsystem, vermutlich Harlans persönlicher Zugang, über den er auch in Darius Schlafzimmer gelangt war. Ein prüfender Blick auf Uriels Karte ergab, dass diese Tür auf der Karte nicht enthalten war, und auch kein Weg dorthin war verzeichnet.
    Dies war Grund genug, sich diesen Weg näher anzusehen. Darius schob jetzt alle Vorsicht beiseite. Er war jetzt fest entschlossen, eben diesen Weg zu erkunden, um dann zu Grim und den anderen der geheimen Bruderschaft zurückzukehren. Er hatte bereits mehr erfahren, als er erwartet hatte.
    Die Falltür ließ sich lautlos öffnen. Darius blickte in ein schwarzes Loch, das in unergründliche Tiefen führte. An der Seitenwand des Schachtes waren Sprossen eingelassen. Er platzierte Melmoth auf seiner Schulter, gemahnte ihn, still zu sein und ließ sich langsam hinab. Seine Füße fanden bald festen Halt. Als die Wände des Schachtes seinen Körper vollständig umgaben, langte er nach oben und schloss die Tür über sich.

    Der Weg in die Tiefe erschien Darius schier endlos, doch schließlich berührte er wieder festen Boden. Die vollkommene Finsternis war auch hier wieder einem leichten Schimmern gewichen, so wie er es noch in unangenehmer Erinnerung hatte. Immerhin konnte er dadurch den Windungen des Ganges sehend folgen.
    Der Gang schlängelte sich in unregelmäßigen Kurven, so dass Darius bereits nach kurzer Zeit unsicher war, wo er sich nun befinden mochte. Eine Abzweigung nach links schien ihm in Richtung des Schlosses zu führen, doch er wählte den Weg geradeaus. Erleichtert stellte er fest, dass er ab und zu

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