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Die schlafende Stadt

Die schlafende Stadt

Titel: Die schlafende Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Steiner
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von Anton bekommen hatte, und der an einem Lederband befestigt an der Wand hing. Er bekam ihn. Dann bat er Berthold noch um Partituren.
    „Wir besorgen sie dir“, sagte Leni sofort.

    Für Robin waren die jüngsten Ereignisse bereits so weit entfernt, als seien sie im letzten Jahrhundert passiert. Seine anfänglich wirklich qualvollen Schuldgefühle waren inzwischen dem Bewusstsein einer höheren Bestimmung gewichen, als deren Werkzeug er sich sah. Rogers kümmerliche Existenz war ohnehin zum Scheitern verurteilt gewesen, ein minderbegabter, hässlicher, ungeliebter Niemand, den keiner vermisste. Sein Verschwinden verlief ebenso unauffällig, wie Rogers ganzes Dasein stets unwichtig gewesen war. Ob es ihn gab oder nicht, spielte letztendlich keine Rolle.
    Die polizeilichen Ermittlungen hatten ihn lediglich etwas unruhig gemacht. Und natürlich dieser ewige misstrauische Blick von Ulrich, dieser Pestbeule. Wahrhaftig, die Welt wäre um einiges besser, wenn es gewisse Menschen gar nicht gäbe.
    Etwas melancholisch dachte er an seinen alten Freund Berthold. Das letzte Treffen war eine üble Abfuhr gewesen, und er grollte Berthold deswegen. Die ganze Freude und sein ganzer Stolz über seine Novelle waren damit den Bach hinunter gegangen. Hin- und hergerissen zwischen Rachephantasien und Erklärungen hatte er sich schließlich bemüht, den ganzen Vorgang zu analysieren. Gewiss, eine richtige Würdigung eines längeren Textes erforderte sicherlich etwas Zeit. Womöglich war der Zeitpunkt seines Auftauchens tatsächlich etwas ungünstig gewesen. Außerdem war Berthold der Einzige, dem er ein adäquates Urteil diesbezüglich zutraute.
    Sein Weg nach Hause führte ihn diesmal, getrieben von nostalgischem Freundschaftsgefühl, in die Nähe von Bertholds Wohnung, wobei er den Weg am Fluss entlang über den Dicken Turm und die Hexenstiege weiträumig umging. Orte seiner Schmach und Niederlage machten ihm nur schlechte Laune.
    Er bog gerade in Bertholds Straße ein, da blieb er plötzlich wie angewurzelt stehen. Seine Kinnlade klappte herunter, denn was er dort sah, konnte er nicht fassen.
    Direkt vor Bertholds Haustür stand er, sein bester Freund, mit Leni. Das Objekt seiner Begierde, das Subjekt seiner Demütigung. Sie waren engumschlungen und küssten sich, wieder und wieder. Sie wirkten beide trunken vor Liebe. Erst nach einer ganzen Weile des Liebesspieles fand Berthold seinen Schlüssel und öffnete die Haustür. Dann verschwanden die beiden Arm in Arm im Hauseingang.
    Erst langsam begriff Robin, was er da gerade gesehen hatte. Er spürte jetzt, wie seine Beine zitterten, wie sich in seinem Hals ein dicker Kloß gebildet hatte, der jetzt zu schmerzen anfing.
    Er ging erst ein paar Schritte rückwärts, dann wandte er sich ab.
    Wohin er gehen wollte, wusste er selbst nicht. Er wollte jetzt nur weg.
    Nach und nach stieg ein anderes Gefühl in ihm auf. Es war Zorn, unbändiger Zorn. Diese elende, verfluchte Nutte! War es denn zu fassen? Soso, für diesen läppischen Schriftsteller machte sie also jetzt die Beine breit! Der, den Robin als seinen Freund auserkoren hatte! Was für ein mieser, ichbezogener Verräter! Den lediglich interessierte worein er seinen unegalen Pimmel stecken konnte!
    Er musste anhalten, so sehr hatten sich seine Beine verkrampft. Seine Fäuste waren so sehr geballt, dass die Unterarme schon weh taten. Er biss sich auf die Unterlippe. Er hätte schreien mögen.
    Tausend qualvolle Gedanken durchrasten jetzt sein Hirn. Was mochten die beiden dort oben miteinander treiben? Ob sie ihm schon am Schwanz lutschte? Die Vorstellung machte ihn schier wahnsinnig. Ob sie es genoss, wenn er ihre Nippel rieb? Dieses verdammte Schwein!
    Ein hoher, gequetschter Ton entrang sich seiner Kehle. In ohnmächtiger Wut trat er gegen ein parkendes Auto. Der erste Tritt verbeulte die Tür, weitere Tritte drückten die ganze Seite des Autos großflächig ein. Wie eine Kraterlandschaft begann sich die Karosserie zu verformen.
    Er trat noch drei weiteren Autos die Scheinwerfer ein. Er sollte gefälligst nicht der einzige sein, der heute einen beschissenen Tag hatte.

    Bertholds Tag war heute ruhig und kreativ gewesen wie schon lange nicht. Der Herbst war für ihn seit jeher eine schöpferische Zeit gewesen, und selbst schlechtes Novemberwetter vermochte seine Laune nicht zu trüben.
    Besonders mit einer so wunderschönen Frau in seinen Armen.
    Noch immer konnte er sein Glück kaum fassen. Wann immer er in Lenis Gesicht schaute,

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