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Die schlafende Stadt

Die schlafende Stadt

Titel: Die schlafende Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Steiner
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irgendwo herunterkullerte, gefolgt von leisem Rieseln. Oder wie eine Glasmurmel auf kaltem Marmor.
    Wieder begann er diese angstvolle Erwartung zu fühlen, die er im hellen, warmen Sonnelicht so wohltuend entbehrte. Schwer atmend schlich er weiter.
    Tatsächlich erreichte er schließlich einen schmalen Torbogen, dem sich eine steile, enge Treppe anschloss.
    Keuchend stieg er die Stufen hinauf. Der Weg schien schier endlos. Das Cello stieß immer wieder an die Mauer, denn er scheute sich, es zurückzulassen.
    Der enge Treppenaufgang fand endlich sein Ende in einem weiteren schmalen Bogen, durch den Dankwart zur Galerie gelangte. Dort entledigte er sich nun seines Ballastes, lehnte sich an das mächtige Geländer und spähte nach unten.
    Er befand sich, wie er nach dem langen Aufstieg richtig vermutet hatte, in schwindelnder Höhe.
    Die Gewölbehalle war wahrlich so titanisch groß, dass er die Galerie auf der gegenüberliegenden Seite nur schemenhaft, wie aus weiter Ferne wahrnehmen konnte. Trotz der Höhe, in der er sich befand, wirkte die Kuppel über ihm wie die Weite des Alls. Der Boden der dodekagonischen Arena tief unter ihm bildete aufgrund der unterschiedlichen Färbung der einzelnen Bodenplatten ein bizarres Muster, das an eine verborgene okkulte Symbolik erinnerte.
    Das Kenotaph, obgleich ebenfalls riesenhaft groß, wirkte jetzt verhältnismäßig filigran und hatte nichts übermäßig Gewaltiges mehr. Selbst seine Spitze, die an ihrem Ende die Gestalt eines Vollmondes hatte, befand sich noch unterhalb der Galerie.
    Der schwarze Vorhang war mit großen, starken Seilen direkt unterhalb der Galerie angebracht. Sie bildeten Schlaufen, die direkt um das wuchtige Steingeländer herumgeschlungen waren. Fast alle anderthalb Meter befand sich solch eine Schlaufe, und sie endete jeweils in einem metallenen Ring, der in den schweren Stoff eingearbeitet war.
    Dankwart zog entschlossen Bertholds Messer und begann, das erste Seil zu durchschneiden.
    Es dauerte lange. Dankwart säbelte mit aller Kraft, bis das harte Geflecht endlich durchtrennt war. Mit einem gewaltigen Ruck riss der letzte Faden. Es klang, als risse eine Violinsaite. Dankwart hörte das massige Absacken des schweren Stoffes nach unten.
    Er begab sich sofort an die nächste Seilschlaufe. Wieder schnitt und sägte er unermüdlich, bis mit einem dumpfen Klang das Seil riss und er das Rauschen des fallenden Stoffes vernahm.
    Als er bei der siebten Schlaufe angelangt war, verließ ihn der Mut ein wenig. Es waren hunderte von Schlaufen, und es war ihm, als hätte er noch fast nichts ausgerichtet. Seine Hände waren verkrampft, seine Arme schmerzten, und sein Rücken war so verspannt, dass er sich kaum noch bewegen konnte.
    Fluchend hielt er inne und lehnte sich schwer atmend an die kalte, marmorne Wand.
    Er zuckte zusammen. Wieder dieses Geräusch, als habe ein schleichendes Etwas versehentlich etwas losgetreten. Wie ein Steinchen, dass irgendwo herunter kullert, gefolgt von einem Rieseln wie von Sand.
    Erstarrt lag er da und traute sich kaum, zu atmen.
    Eine flüsternde Stimme ließ ihm die Haare zu Berge stehen.
    „Dankwart!“
    Er musste sich hart zusammenreißen, um nicht aufzuschreien.
    Panisch sah er sich um. Sein Herz hämmerte wie wild.
    Es war niemand zu sehen. Vorsichtig lugte er über die Brüstung.
    Kurz jenseits der Krümmung der Galerie, von seiner kauernden Stellung aus nicht sichtbar, aber nur wenige Meter von ihm entfernt, stand jemand.
    Die Gestalt hatte seinen Kopf über der Brüstung sofort erkannt und hob die Hand.
    Es war jemand, der ihn kannte. Er musste ihn kennen, denn er nannte seinen alten Namen. Ihn kannten nur die Mitglieder der Bruderschaft.
    Die Gestalt hatte sich in Bewegung gesetzt und kam auf ihn zugeschlichen.
    Uriel.
    Erleichtert ließ sich Dankwart auf den Boden sinken.
    „Was bin ich erschrocken“, wisperte Dankwart Uriel zu, der sich jetzt neben ihm niederließ. „Wie zum Teufel kommst du hierher?“
    „Den gleichen Weg, den ich damals nahm, als wir dich von hier weg brachten“, sagte Uriel. „Im Seitenschiff gibt es einen Abgang, der das Schloss mit dem Tunnelsystem verbindet.“
    „Aber woher wusstest du, wo ich bin?“
    „Von Vulphius, ich meine: Wolfgang. Er sagte, er habe mit dir über das Reisen gesprochen, und dass zu früheren Zeiten dies hier im Schlosse möglich war. Als der schwarze Vorhang noch nicht hing. Da wusste ich, wo du bist.“
    „Ich bin erschöpft“, sagte Dankwart. „Magst du

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