Die schlafende Stadt
Damen, die ihn rufen ließen, litten offenbar vor allem unter gepflegter Langeweile und begrüßten die herzerfrischende Abwechslung, die Benedikt ihnen schenkte. Staunend lernte er auch hier wieder etwas hinzu, denn so manche verlangte nach außergewöhnlichen Liebesspielen. Die dralle Gräfin liebte es, mit einer Weidenrute sanft gezüchtigt zu werden, ihre Cousine dagegen wollte den Liebensakt stets durch Küssen ihrer Zehen eingeleitet haben. Ihre Schwägerin wiederum liebte es, ihn, vor ihm kniend ihn mit dem Munde zu erregen, um ihn dann zu Ähnlichem bei ihr zu animieren. Benedikts Einfühlungsvermögen war hier ebenso eindrucksvoll wie sein Gedächtnis, so dass bei ihm eine jede genau das bekam, was sie sich wünschte, ohne große Erklärungen machen zu müssen. Dementsprechend feudaler waren die Geschenke, die er zuweilen sich kaum getraute, anzunehmen, da er durchschaute, dass sie nicht nur als wohltätige Gabe, sondern auch als Verpflichtung gedacht waren. Doch, was machte es letztendlich? Sein Einfluss wuchs auch damit, und seine Manneskraft war ungebrochen. Vor allem war seine Familie versorgt und gesichert.
Anderen ging es offenbar ganz anders, denn immer wieder nahm man ihn flüsternd beiseite, um ihn dann verstohlen nach Mitteln zu fragen, die der Manneskraft auf die Sprünge helfen könnten. Selbst der gefürchtete Richter Heidegger, der sonst nur seine Dienstboten schickte, wurde zu diesem Zweck persönlich bei ihm vorstellig.
Benedikt sah ihn an. Ein fetter, hässlicher Mann, hart und grausam in seinen Gesichtszügen, verlangte nach potenzsteigernder Arznei. Er spürte ein Gefühl des Ekels, als er sich den Akt vorstellte.
Richtig, er hatte eine neue Dienstmagd. Die Frau des Richters nämlich, mit der er seinen liederlichen, wegen seiner Hurerei stadtbekannten Sohn hatte, war bereits vor vielen Jahren verstorben. Darauf war er also aus, der geile, alte Bock. Benedikt wurde es fast schlecht bei dem Gedanken. Er nahm dem Richter bald sieben Gulden ab für eine kleine Flasche Wurzelelixier und einem durchblutungsfördernden Kräutertee, riet ihm zu ein wenig mehr körperlicher Bewegung und dazu, etwas weniger dem Branntweine und dem fettem Essen zuzusprechen.
Das Objekt der Begierde lernte er bereits wenige Tage später persönlich kennen. Theresa Frauendorff war noch sehr jung, recht groß, hatte ein strenges Gesicht, aber einen mächtigen Busen, den die gierigen Hände des Richters bereits ausgiebig begrabscht haben mochten. Ihr Gesicht war unbeweglich und von einem permanenten, leisen Lächeln, wie es Menschen zuweilen haben, die schon früh lernen mussten, ihre Gefühle zu unterdrücken und Freude zu heucheln zur Entlastung ihrer Beherrscher und Peiniger.
Benedikt verkaufte ihr Veratrum album als Mittel gegen den hohen Blutdruck des Richters, nicht ohne die Ermahnung, stets nur einen einzigen Tropfen zu verwenden, da eine höhere Dosis äußerst giftig sei.
„Ich weiß“, antwortete das Mädchen und lächelte.
Diesmal wirkte es echt.
Fast.
Maria und Gertrud waren zu überaus hübschen jungen Frauen herangewachsen. Benedikt hatte sie Lesen und Schreiben gelehrt, den Umgang mit den Zahlen und den Rezepten. Sie führten die Bücher, registrierten und wogen die Waren. Ihren Bruder erlebten sie wie einen schützenden Schirm, der immer und alle Zeit für sie da war. Benedikt selbst sah voller Liebe und Zufriedenheit auf die beiden. Oft dachte er an Christoph, und wie er wohl jetzt aussehen würde. Jetzt, wo Benedikt selbst fast dreißig war, wäre Christoph siebenundzwanzig. Benedikt stellte sich oft vor, wie es wäre, wenn er zusammen mit seinem kleinen Bruder die Kräutersäcke ablüde, die Drogen zerstieße, die Zutaten sammelten. Vielleicht wäre Christoph bereits verheiratet und hätte Kinder, Kinder, die nun nie geboren werden konnten.
Warum nur, fragte er sich zuweilen, war er eigentlich nicht verheiratet? Die zahlreichen verschiedenen Freuden der Lust wären dann wohl vorbei. Doch das war nicht der Grund.
Er war noch nie wirklich verliebt gewesen. Natürlich, er hatte so viele Frauen geliebt, dass er irgendwann aufgehört hatte, zu zählen. Doch das Bedürfnis, auch nur eine dieser Frauen wiedersehen zu wollen, hatte er verloren, wenn er es überhaupt je gehabt hatte. Ja, Johanna, die erste Frau seines Lebens, die hatte er für kurze Zeit vermeint, zu lieben. Doch sie hatte ihn nicht geliebt, für sie war er einer von vielen gewesen.
Das einzig Dauerhafte in seinem Leben war das
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