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Die schlafende Stadt

Die schlafende Stadt

Titel: Die schlafende Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Steiner
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unregelmäßig, ausgesprochen markant. Nicht direkt schön. Aber es hatte etwas. Lüstern, erregend, und doch rein und unschuldig. Was für eine eigenartige Kombination. Genau wie diese merkwürdigen Augen. Grau, auch das nichts Besonderes. Dazu diese starken Unterlider. Abseitig jeden Schönheitsideals, das er bisher favorisiert hatte. Dennoch – sie rahmten diese Augen ein und machten sie geheimnisvoll. Fast kam es ihm vor wie ein Verrat an bisherigen Idealen. Keine vollbusige Südländerin mit vollen, bebenden Lippen, keine wilde Lockenpracht, keine schwarzen Augen von unergründlicher Tiefe. Er sollte den kleinen Flirt von heute Nachmittag auf sich beruhen lassen. Außerdem: was sollte er denn schon mit einer Neunzehnjährigen!
    Wieder begann er, in der schwelgerischen Musik zu versinken.

    Die Glut, die du mir in das Herz gegossen,
    als Flamme lodre hell sie dir allein!

    Ludwig schlief tief und lange diese Nacht. Als er aufwachte, war es bereits zehn Uhr.
    Und er war verliebt.
    So verliebt, wie ein Mann nur sein konnte. Es traf ihn wie ein Donnerschlag und er konnte anfangs gar nicht begreifen, was mit ihm los war. Allein der Gedanke an die schöne Schottin brachte seinen ganzen Körper zum Kribbeln, ein warmes Gefühl nach dem anderen floss durch seinen Körper.
    An Essen war nicht zu denken. Er musste sie sehen! Gleichzeitig machte ihm der Gedanke Angst. Er versuchte, ruhig das gestrige Gespräch nochmals durchzugehen. Sie war freundlich und liebenswürdig gewesen, sie hatte verbal den Ball immer wieder zurückgespielt. Sie hatte immer gelächelt. Und sie hatte ihm ständig in die Augen gesehen. Aber womöglich war sie zu jedem so freundlich? Oder es war eine Masche von ihr, und sie wusste genau um ihre Wirkung? Ob sie wohl schon einen Freund hatte? Die Gedanken machten Ludwig nervös.
    Er duschte, rasierte sich, durchstöberte seinen Kleiderschrank. Heute war Samstag, also musste er sich beeilen. Kleinere Läden schlossen manchmal schon um zwölf.
    Die Buchhandlung hatte noch geöffnet. Ludwigs Herz schlug ihm bis zum Hals. Er fühlte sich wie ein Vierzehnjähriger. Es war bereits einige Jahre her, dass er so empfunden hatte. Erregt öffnete er die Ladentür.
    Sie war nirgendwo zu sehen. Zitterig sah er sich um. Ein eigenartiger Widerstreit zwischen Enttäuschung und Erleichterung lauerte im Anschlag. Eine ältere kleine Dame erkundigte sich nach seinen Wünschen. Ludwig stotterte erst etwas herum, bis er deutlich machen konnte, dass er die junge Dame von gestern suchte, die ihn bei den Schottland-Büchern beraten hatte.
    „Ach, Sie meinen unsere Praktikantin aus dem Vereinigten Königreich! Sie ist über das Wochenende zu ihren Eltern gefahren. Sie wird erst übernächste Woche wieder da sein. Vielleicht kann ich Ihnen stattdessen weiterhelfen?“
    Die Enttäuschung siegte über die Erleichterung. Auf einmal fühlte Ludwig eine schmerzvolle Sehnsucht, als müsse ihm das Herz zerspringen.
    „Ich glaube nicht, vielen Dank“, stotterte er. „Sie hat mir ein paar gute Tipps über Edinburgh gegeben, und da wollte ich sie noch einmal etwas fragen.“
    „Da wird sie wirklich mehr Ahnung haben als ich!“ sagte die kleine Frau lebhaft. „Übernächsten Montag ist sie wieder da.“
    „Würden Sie mir Ihren Namen nennen?“ frage Ludwig geistesgegenwärtig. „Damit ich das nächste Mal weiß, nach wem ich fragen muss.“
    „Ja, sicher! Das ist Fräulein Carmilla McDougall.“

    Carmilla.
    Ludwig sprach den Namen unzählige Male aus. Den Rest des Tages verbrachte er mit längeren Spaziergängen durch den Wald und die Hügel des Umlandes. Abends schmökerte er in den Büchern, die er bei Carmilla gekauft hatte. Zärtlich strich er über die Buchumschläge, andächtig, wissend, dass erst vor wenigen Stunden ihre Hände sie dort berührt hatten. Er legte Musik von Vaughan-Williams auf, weil sie sich so keltisch anhörte. An gleichen Tag noch hatte er sich eine teure Flasche Single Malt gekauft, um sich am Abend ein Glas nach dem anderen einzuschenken. Nicht, um sich zu betrinken, sondern um sich in den Duft und den rauchigen Geschmack zu vertiefen. Mit dem Aroma auf der Zunge tauchte er tief ein in die Stimmung der wilden Küsten und der rauen Hügel, der dunklen Felsen mit dem Castle darauf, erhaben und düster. So fühlte er sich ihr nahe.
    Eine Britin! Sein Vater war im Krieg gewesen, seine Mutter hatte den Bombenkrieg über Köln miterlebt. Besonders sie hatte Angst vor „den Engländern“, gehabt und oft

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