Die schlafende Stadt
ihn an.
„Haben wir, natürlich. Wünschen Sie einen Bildband?“
Sie geleitete ihn zu dem Tisch, an dem sie sich schon einmal begegnet waren.
„Ja. Am liebsten einen Bildband über dich. Mit vielen Portraitphotos!“
Sie lachte und blitzte ihn aus ihren Augenwinkeln an.
„Ich wollte dich sehen“, sagte Ludwig.
„Das freut mich.“ Sie blätterte in einem Band über schottische Golfplätze.
Sie schwiegen eine Weile.
„Ich fand unseren Abend vorgestern sehr schön. Ich dachte, wir könnten dies bald einmal wiederholen.“
Carmilla kramte konzentriert zwischen den Büchern. Scheu wirkte sie heute. Ob ihr die Begegnung unangenehm war? Ludwig merkte, dass die Leichtigkeit von sonst fort war. Er wurde unsicher. Und enttäuscht.
„Wann darf ich dich treffen?“ fragte er entschlossen.
Sie sah auf. „Ich weiß es nicht“, sagte sie.
„Möchtest du vielleicht nicht?“ fragte Ludwig. Er fürchtete die Antwort.
Ein schwaches Lächeln flog über ihren sinnlichen, wundervollen Mund. Ludwig glaubte, noch nie etwas so Schönes gesehen zu haben.
„Das wäre nämlich sehr schade. Ich habe mich nämlich in dich verliebt.“
Sofort klopfte Ludwig sein Herz bis zum Hals. Er hatte gar nicht geplant, alles schon derart konkret zu machen.
Sie sah ihm lange in die Augen. Die Buchhandlung um sie beide herum verschwand. Ludwig war es, als gebe es nur sie beide auf der Welt. Kein Laut umgab sie.
Dann öffnete sie ihre Lippen.
„Ich muss noch etwas warten damit“, sagte sie.
Sie merkte, dass Ludwig irritiert schwieg.
„Ich werde mich bei dir melden. Gib mir diese Zeit.“
Sie strich ihm leicht über den Handrücken. „Bitte.“
Sie machte Anstalten, sich abzuwenden.
Ludwig sah sie nur an. Er deutete ein Nicken an. Er sah, wie Carmilla sich umdrehte und sofort von einem Kunden angesprochen wurde. Er wusste nicht so recht, was er tun sollte. Sein Mund war trocken.
Dann riss er sich aber los und trat aus der Tür. Schwer fühlte sich alles an. Eine innere Stimme war bereits dabei, ihn auf Abschied vorzubereiten. Eine Neunzehnjährige, ein Mädchen, noch nicht erwachsen und wahrscheinlich noch auf viele Liebesabenteuer aus, bis dass es dann irgendwann doch einmal ernst würde – wenn überhaupt.
Andere Stimmen bemühten sich lautstark, dies zu übertönen. Neidvoll beobachtete Ludwig durch die Schaufensterscheibe, wie ein junger Kerl mit langen Haaren mit ihr scherzte. Sie schien ebenfalls mit ihm zu flirten.
Ludwig spürte noch lange ihre Berührung auf seiner Hand. An dieses Zeichen der Zuneigung klammerte er sich.
An einem besonders schönen Sommertag, dem ersten richtig heißen Tag im Jahr, kehrte die Sonne auch in Ludwigs Leben zurück. In seinem Briefkasten befand sich ein Brief von Carmilla. Klopfenden Herzens riss er ihn auf.
Erst wollte er enttäuscht sein. Der Umschlag enthielt gar keinen Brief, sondern einen Prospekt:
Dem Prospekt entfiel eine gültige Eintrittskarte. Auf ihrer Rückseite standen in erstaunlich schwungvoller, kräftiger Handschrift folgende Zeilen:
Lieber Ludwig!
Meine Gasteltern veranstalten dieses Fest. Ich bin natürlich auch dabei! Wir könnten uns dort sehen. Ich möchte einmal mit Dir tanzen! Du kommst doch?
Carmilla
Ludwig strich andächtig über die Eintrittskarte. Sein Herz hüpfte vor Freude. Nur noch wenig mehr als eine Woche, und er würde Carmilla wiedersehen!
Genüsslich machte er sich die nächsten Tage daran, ein originelles Kostüm zu organisieren. Einiges befand sich sogar in seinem eigenen Besitz, das er schon lange in seinem Schrank aufbewahrte, so eine alte Kniebundhose aus Leder, die noch von seinem im Ersten Weltkrieg gefallenen Großvater Dankwart stammte. Großmutter Sophia wäre entzückt, ihn darin zu sehen. Sie behauptete, er sei ihrem geliebten Mann sehr ähnlich. Dies hatte Ludwig als großes Kompliment verstanden, denn Dankwart hatte wohl als sehr attraktiver Mann gegolten. Selbst seine Geige hatte sie ihm geschenkt, aber Ludwig hatte es nie zu besonderer Meisterschaft gebracht.
Der Festtag war gekommen. Es war ein heißer Sommertag, kein Wölkchen war am Himmel. Ludwig saß gutgelaunt in seinem Auto und wurde immer aufgeregter, je mehr er sich Karstein näherte, einem kleinen, romantischen Städtchen, das er noch nie zuvor besucht hatte, von dem er sich die vergangenen Tage aber wohl viele Bilder angesehen hatte. Hochzufrieden war er mit seinem Kostüm, das er größtenteils Manfred verdankte, dem einzigen Freund, den er aus der
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