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Die schlafende Stadt

Die schlafende Stadt

Titel: Die schlafende Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Steiner
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Sie seien älter, kleiner und ... unruhiger .“
    „Warum unruhiger?“
    „Man beschrieb Sie mir als nervös und empfindsam. Sie würden Unruhe verbreiten. Oder aber über außerordentliche Fähigkeiten verfügen. Dies zu überprüfen ist der Grund Ihrer Anwesenheit hier. Mein Eindruck ist eher, dass Letzteres zutrifft – was Ersteres allerdings nicht grundsätzlich ausschließt.“
    Darius bemühte sich, so teilnahmslos wie möglich zu wirken. Eine innere Stimme mahnte ihn, vorsichtig zu sein, auch wenn er merkte, dass er sein Gegenüber mochte. „Ich fürchte, es stimmt weder das eine, noch das andere“, sagte er. Ich bin, wie Sie vermutlich wissen, Astronom. Meine Arbeit erfüllt mich sehr und ich bin beglückt, sie vollführen zu dürfen. Auf diese Weise bin ich womöglich ein guter Wissenschaftler.“
    Harlan war mit der Antwort offenkundig nicht ganz zufrieden. Er betrachtete prüfend seine Fingernägel. Lange, hornige Nägel.
    „Sie waren krank, wie ich hörte?“
    „Das war ich. Ich hatte eine fiebrige Erkrankung, und seltsame Bilder quälten mich. Noch nie war mir dergleichen bisher widerfahren, und nun ist es vorüber. Ich hatte dies unmittelbar nach einem Tempelbesuch, bei dem sich ein merkwürdiger Vorfall ereignete. Dies ist aber nun schon eine Weile her, so dass ich mich kaum noch erinnere.“
    Er sah Harlan aufrichtig an und bemühte sich um langsames Sprechen.
    Harlan sah fast enttäuscht aus. Oder durchschaute er Darius’ Strategie?
    „Dass Sie genesen sind, ist gewiss eine gute Nachricht. Dennoch würde ich gerne erfahren: Was für einen Vorfall meinen Sie? Und was für Bilder waren es, die Sie quälten?“
    „Ich erinnere mich dunkel an einen fetten, röchelnden Mann. Er wurde von dunkel gekleideten Gestalten hinfortgezerrt und mit Beilen traktiert. Seit diesem Vorfall war ich in der Tat unruhig. Ich hatte auch diese dunklen Gestalten noch nie zuvor gesehen. Seitdem sah ich sie noch einmal, bei einem Spaziergang. Mir war nicht wohl, ich verirrte mich und hatte den wahnwitzigen Eindruck, die Gebäude würden wachsen und sich auf mich stürzen. Ich wähnte mich selbst von steinernen Bildern beobachtet. Ich war so überreizt, dass ich sogar meinte, eine Katze von unbeschreiblicher Farbe zu erblicken.“
    Harlan schien zu merken, dass Darius die Wahrheit sprach. Jetzt musste er noch davon überzeugt werden, dass Darius wieder ein unauffälliger Normalbürger war.
    Harlan fragte aber gar nicht weiter.
    „Wissen Sie“, sagte er, „meine Hoffnung ist, Männer zu finden, denen ich trauen kann. Dazu ist nicht jedermann geeignet. Denn die meisten in unserer Welt sind keine Denker. Sie führen nur das aus, was Ihnen aufgetragen wird.“
    Er stand auf und trat ans Fenster. Er winkte Darius zu sich.
    Beide blickten in den großen Innenhof. Hunderte der schwarzgekleideten Gestalten standen dort einheitlich in unzähligen Reihen, starr und reglos. Ihre Kapuzen waren zurückgeschlagen, und man erblickte nur noch schimmernde Helme, die die Köpfe vollständig bedeckten. Alle Gesichter waren von Visieren verdeckt, so dass ihre Häupter vollständig von Metall umschlossen waren.
    „Sehen Sie“, sagte Harlan, „eine ganze Armee treuer Gefolgsleute. Sie tun alles, was ich ihnen sage. Sie widersprechen nicht, sie widersetzen sich nicht. Und dies ist gut für mich und gut für sie. Sie haben alle eine sinnvolle Aufgabe und müssen sich den Sinn ihres Tuns nicht selbst überlegen. Das tue ich für sie. Und ich habe durch sie ein wirkungsvolles Instrument, um die Ordnung und Sicherheit in dieser Stadt zu gewährleisten.“
    „Warum sind sie vermummt?“, fragte Darius.
    „Es macht alles einfacher. Sie erleben sich als gleich und als kraftvolles Kollektiv. Keiner ist besser als der andere. Alle sind gut. Individualität stört nur.“
    Er sah auf Darius. „Können Sie sich vorstellen, einer von ihnen zu werden?“
    „Nein!“ sagte Darius bestimmt, „Niemals.“
    Harlan lächelte, das erste Mal.
    „Vielleicht wundert Sie das, aber Ihre Antwort freut mich“, sagte er. „Sie verrät mir, dass Sie ehrlich zu mir sind. Natürlich könnten Sie niemals derart in einer solchen Anonymität aufgehen. Ebensowenig wie ich.“
    Er trat näher. „Ich verrate Ihnen etwas. Denn auch Sie haben mir etwas verraten. Nämlich, dass Sie mehr und intensiver wahrnehmen können als andere. Keiner der normalen Bürger kann uns überhaupt bemerken. Nur Sie.“
    „Nur ich?“
    „So ist es. Für einen normalen Bürger

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