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Die schlafende Stadt

Die schlafende Stadt

Titel: Die schlafende Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Steiner
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würde er ihn womöglich hinter diesen schwarzen Mauern wiedertreffen, an der Seite von Ambrosius?
    Als er das Große Portal passierte, traten zwei der Schwarzgekleideten aus dem Schatten an seine Seiten. Stumm, ohne Begrüßung. Sie schlugen den Weg nach links ein, weg von der Hauptfestung, und gelangten an ein großes, kasernenartiges Gebäude mit einem großen Eingangsportal, das in einen tunnelartigen Durchgang zu einer Art Innenhof führte. Inmitten dieses Durchganges befand sich seitwärts wiederum eine Tür, die in ein geräumiges Treppenhaus führte. Vor einer bewachten Tür hielten die Schwarzgekleideten an und traten beiseite. Die Wachen öffneten die Tür und bedeuteten Darius, einzutreten.
    Darius befand sich in einem großen Saal. Der Boden bestand aus einem kunstvollen Mosaik. An den Wänden hingen Gobelins, die mythische Szenen zeigten. Ein gewaltiger Kronleuchter an der Decke erhellte den Raum mit hunderten von Kerzen. Am Ende des Raumes stand, unter einem gigantischen Gemälde vom heiligen Ylgar, ein monumentaler Schreibtisch, der den Menschen, der daran saß, klein und schmächtig aussehen ließ. Neben diesem stand Ambrosius und starrte ihn an.
    „Kommen Sie näher, junger Freund.“
    Ambrosius’ hohe Stimme widerte Darius an. Er bemühte sich, einen achtungsvollen Blick zu bewahren. Er trat an den Schreibtisch.
    „Setzen Sie sich. Ich freue mich, Sie kennenlernen zu dürfen“, sagte eine außergewöhnlich tiefe Stimme.
    Der Mann am Schreibtisch sah aus der Nähe ganz anders aus, als Darius erwartet hatte. Er war schlank und ähnlich groß wie Darius, und schien noch keine dreißig Jahre alt zu sein. Er war vornehm gekleidet, anstatt der erwarteten Kutte trug er einen dunklen Anzug mit kurzer Jacke, die mit zwei Reihen von polierten Silberknöpfen besetzt war. Seine kurzen, dunklen Haare waren sorgfältig frisiert, sein Kinn war glatt und die Brauen sorgfältig gezupft. Sein ernstes, markantes Gesicht wirkte ausgesprochen intelligent und keineswegs unsympathisch.
    „Sie können sich jetzt zurückziehen“, sagte er zu Ambrosius gewandt.
    Der Mönch schien irritiert. „Ich wollte Ihnen sagen ...“, begann er.
    „Ich habe von Ihnen alle Informationen erhalten, die ich brauchte“, erwiderte der Mann am Schreibtisch.
    Er blickte zu Darius.
    „Verzeihen Sie meine schlechten Manieren. Ich habe mich noch nicht vorgestellt. Mein Name ist Harlan. Ich bin der Vorsitzende dieses Ordens.“
    Ambrosius hatte sich nicht gerührt und stand noch immer an Harlans Seite.
    „Ich sagte: Sie können gehen“, sagte Harlan nochmals zu Ambrosius ohne sich umzudrehen. Er schien es gewohnt zu sein, Befehle zu erteilen.
    „Ich möchte zu bedenken geben, dass diese Unterredung meine Anwesenheit unbedingt erfordert“, wandte der ein.
    Anstatt zu antworten, betätigte Harlan einen Hebel unterhalb der Schreibtischplatte. Sofort erschienen zwei der Schwarzgekleideten.
    „Unser Ordenbruder Ambrosius möchte sich wieder an seine Arbeit begeben“, sagte er zu ihnen. „Begleitet ihn ins Scriptorium.“
    Ambrosius wirkte fassungslos. Sein Mund öffnete sich und er bleckte die fauligen Zähne.
    „Wie Sie wünschen. Sie haben recht: ich habe noch viel zu tun. Verzeihen Sie meine Nachlässigkeit.“
    Ambrosius deutete eine Verneigung an. Die Demütigung in Gegenwart von Darius ließ sein Gesicht versteinern. Er fixierte Darius flüchtig. Dann verließ er bedächtig tapsend den Saal. Er wirkte wie eine alte Fledermaus.
    „Ich möchte Sie noch ein weiteres Mal um Verzeihung bitten“, sagte Harlan wieder zu Darius, „es gehört nicht zu meinen täglichen Vergnügungen, enge Mitarbeiter so aus meinem Saal zu entfernen. Aber zeitweise muss ich auch Grenzen aufzeigen, wenn jemand meine Wünsche nicht respektiert.“
    „Ich bin sicher, es war notwendig, so zu verfahren“, sagte Darius.
    „Das war es. Er ist ein ekelhaftes Subjekt.“ Das sagte er deutlich angewidert und verächtlich.
    „Hätte ich Sie bereits persönlich gekannt, wäre ich festeren Entschlusses gekommen“, sagte Darius wahrheitsgemäß.
    „Ich bin erfreut, dass Sie dennoch kamen. Leider kann auch ich mir meine Mitarbeiter nicht aussuchen. Unser Kodex verlangt, dass wir alle Brüder sind. Ein jeder hat seine Qualitäten. Keiner wird ausgeschlossen.“
    Harlan sah Darius aufmerksam an. „Ich hatte Sie mir anders vorgestellt“, sagte er.
    „Ich hoffe, Sie sind nicht enttäuscht“, sagte Darius.
    „Ganz und gar nicht. Es ist das Gegenteil. Ich dachte,

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