Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die schlafende Stadt

Die schlafende Stadt

Titel: Die schlafende Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Steiner
Vom Netzwerk:
Burg hinabschritt. Die dunklen Gestalten, die er als gespenstische Schergen erlebt hatte, wirkten nicht mehr bedrohlich. Er hatte vielleicht bald die Möglichkeit, über ihnen zu stehen, sie zu befehligen.
    Darius trat an die Burgmauer. Auch von hier war der Blick umfassend und eindrucksvoll, wenn auch nicht ganz so spektakulär wie aus Harlans Fenster. Da waren sie also, die Ahnungslosen, die friedlich und träge über die Straßen und Wege schlenderten. Er beobachtete zwei junge Frauen, die auf einer Bank saßen. Etwas entfernter las ein hagerer Mann mit Zylinder eine Zeitung im Licht einer Straßenlaterne. Aus der Ferne sah er fast so aus, wie der gequälte Mann in der steinernen Wanne. Womöglich war er es? Vielleicht stand er jetzt genau dort, ohne jede Erinnerung, neu geschaffen aus Angst und Schmerz, naiv und unschuldig, dumm und nichtsahnend?
    Wie ein dummes Schaf auf der Schlachtbank.
    Auf einmal wusste Darius, was ihn so sehr gestört hatte. Harlan hatte es anders ausgedrückt, vornehmer, ja achtungsvoller. Und doch waren die Bürger der Stadt in seiner Philosophie nur dummes Vieh. Niedere Geschöpfe, dazu da, um von höheren Wesen beherrscht zu werden.
    War Darius selbst vielleicht ebenso dumm? Teil einer geschickten Manipulation? Er wähnte sich schon als Herr über die düsteren Mächte, während er womöglich in Wahrheit bereits Sklave einer größeren Macht war, die sich bereits seiner bediente?
    Er fluchte innerlich. Wieder wusste er nicht, was nun war und was nicht. Und er war sofort erstaunt.
    Noch nie hatte er geflucht. Warum nur hatte er das getan, gerade eben? Plötzlich fühlte er wieder jene wohlbekannte Schwäche in sich emporkriechen. Seine Beine wurden weich, sein Körper verlor an Kraft. Ein leichter Schwindel setzte ein. Er klammerte sich an der Mauer fest und schloss die Augen. Es wurde dunkel, als erstürbe das Licht um ihn herum, wie die Abblende am Schluss eines Filmes. Ein eigenartiges Bild tauchte auf.
    Er blickte in einen üppig eingerichteten Raum. Ein schwerer Teppich, Bilder an den Wänden, ein fünfflammiger Kronleuchter an der Decke, Regale, die vollgestopft waren mit Büchern. Auf einem feudalen Schreibtisch stand eine eigenartige Lampe in Gestalt eines kleinen Affen, der mit ausgestrecktem Arm die leuchtende Glastulpe hochhielt. Mitten im Raum stand ein junger Mann, der ihm sehr vertraut vorkam. Er sah ein wenig verstört aus und blickte starr in seine Richtung.
    Ein eigenartiges Gefühl durchströmte Darius und brachte ihm die Kraft zurück, die er gerade verloren hatte. Er öffnete die Augen. Vor ihm lag das Meer in seiner unendlichen Weite, zu seinen Füßen die gewaltige Stadt mit den tausend Türmen und Dächern. Doch mit einem Mal hatte er den Eindruck, jemand sei bei ihm.
    „Wer bist du?“ flüsterte er.

Ich finde dich, Weib
die du in meiner Seele spukst
und mich quälst
mit deiner Schönheit,
deiner Anmut
Ich suche dich
und folge deinen Spuren
die meine Träume mir gezeigt,
die mein Wissen mich gelehrt.
Ich wandle auf deinen Wegen,
erblicke dich,
ungesehen,
bin schon ganz nah
und doch zu weit entfernt
um die Pein zu lindern
dieser grausamen Ferne.
Weder ruhe ich,
noch schlafe ich
und selbst wachen
tue ich nicht wirklich.
Du kannst mir nicht entrinnen
Denn Du bist mir bestimmt,
ich weiß es.
Der Wind in deinen Haaren
weht deinen Duft zu mir
Mein Neid gilt dem Stoff
der deinen Körper umschmeichelt,
dem Amulett auf deiner Brust
das deinem Herzen näher ist als ich.
Mein Hass gilt den Menschen
die in deine Augen blicken
Jene wundervollen Augen,
die doch mir gehören.
Meine Ohmacht gilt dem Haus,
das dich beherbergt
anstelle meiner Arme
meiner bebenden Lippen
meiner begehrenden Seele.
Nie wirst du
einen besseren Hort
deines Seins finden.
Ich rieche dich,
ich schmecke dich
ich höre und ich sehe dich
und meine Hände gleiten über dich
und fühlen alles,
alles
was dein Körper mir gibt.
Schon bald, Du wirst sehen.
Du kannst mir nicht entrinnen
Denn Du bist mir bestimmt.
Wohin du auch gehst, Weib,
Ich werde dich finden.
    Athanasius PERNATH

    „ D a! Sollen das säuberlich zusammengelegte Handtücher sein? Das ist jetzt schon das dritte oder vierte Mal! Wenn Sie keine Lust haben, ordentliche Arbeit zu machen, kriegen Sie eine Beschwerde, ist Ihnen das klar? Beim Militär wären Sie schon in der Arrestzelle!“
    Stationspfleger Ulrich schäumte vor Wut. Er schob sein Gesicht direkt vor die Augen des teilnahmslos blickenden Schönlings, der ihm schon lange ein Dorn im Auge

Weitere Kostenlose Bücher