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Die Schlaflosen

Die Schlaflosen

Titel: Die Schlaflosen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Kolb
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und weg!
    Jetzt fängt es gleich an mit dem Schlafpapst. Jetzt pass auf, du gehst jetzt runter, du wäschst dir nicht mehr die Haare, du gehst wie du bist runter, du versteckst dich jetzt nicht. Du gehst jetzt die Treppen runter und setzt dich in den Vortragssaal. Es kann nie etwas schaden, ein bisschen früher zu kommen. Du nimmst das Buch da mit, ›Die Ohrfeige‹ – was für ein Titel! Man will gleich loslesen, man spürt sofort die eigene Wange heiß werden … Wenn du jetzt runtergehst, ist es auch noch früh genug, deinen Lieblingsplatz zu belegen, letzte Reihe erster Stuhl, von dem aus du jederzeit die Flucht ergreifen kannst. Schließlich bist du frei, das weißt du doch, das musst du dir immer wieder klarmachen … Da unten ist auch schon Gemurmel zu hören, hoffentlich ist keiner da, den ich kenne … mir drückt schon wieder das Herz, die beklommene Margot, das hat doch mal jemand gesagt … jetzt bist du so alt und das passiert dir immer noch … ach was, jetzt mach mal los … dieses Treppenhaus ist Gott sei Dank gut mit Läufern ausgelegt, man hört dich nicht … geh am besten durch diese Tür, beachte die Leute nicht, die an der Rezeption stehen, nimm einfach Platz …
    Sieh an, da ist er ja schon wieder, der Mann von eben … hast du richtig gesehen, hat er zu dir rübergenickt? Gut, dass er wieder kehrtmacht. Du bist ja fast alleine hier, nur die Frau da vorne … hast du dich vielleicht in der Zeit geirrt? Ach, leg einfach deinen Schal auf den Stuhl und geh rüber in diesen Salon, diesen blauen, lass dich in einen Sessel fallen, da wird man dich in Ruhe lassen …
    Aaach, ist das schön, tief und weich, wie es sich da sinken lässt! … aber da ist schon die Störung … vielleicht geht sie vorbei … nein, sie bleibt stehen und richtet ihren Blick direkt auf dich, nimmt den Sessel neben dir ins Visier … schau nicht hin, oder steh auf und geh weg … bestimmt ist sie nicht eine von uns, so aufgeräumt und frisch, wie sie aussieht, so zielstrebig, wie sie sich einen Platz sucht … wahrscheinlich eine von den Journalistinnen, die sich immer auf solchen Veranstaltungen einschmuggeln und hinterher Berichte in Frauenzeitschriften oder Samstagsbeilagen von Tageszeitungen schreiben, in denen man dann als Vogelscheuche auftaucht, als schwer gestörter Fall … jetzt lässt sie sich tatsächlich in den Sessel neben dir sinken, mit Colaflasche samt Trinkhalm in der Hand, macht Anstalten, ein Gespräch mit dir anzufangen … oder doch nicht, nein, macht keine Anstalten … ein kurzes ’tschuldigung, sonst nichts … mal wieder Glück gehabt … ich stülpe meine Fühler aus, lasse mich tiefer sacken und tue, als blickte ich in mein Buch … das Schönste ist, anonym in der Ecke zu sitzen und beobachten zu können, wer sich so alles einfindet, welche irren, kranken, nach Hilfe lechzenden Desperados.
    Ob du doch noch mal hochgehst und dir die Haare wäschst und schnell färbst? Der Professor soll ja später kommen, hat sie das nicht eben gesagt, die kleine Bülow? Die Zeit würde grade noch reichen, zwanzig Minuten einwirken und fünf Minuten föhnen, alles in allem halbe Stunde, aber lohnt sich das? Du hast es jetzt so oft verschoben und eben vor dem Spiegel beschlossen, es auch heute zu verschieben … für wen auch eigentlich? Für diese Ansammlung von Schlappmachern? Soll man mir doch ansehn, was mit mir los ist … jeder hier weiß, was für eine Schwerarbeit Haarewaschen ist, jeder weiß, dass Haarewaschen so anstrengend ist wie Berge besteigen oder Bäume erklettern … behalt einfach die Kappe auf, dann sieht man nichts … was für eine Erlösung, zu bleiben, wie man ist … sollen sie doch denken, was sie wollen … die neben dir da ist Raucherin, eine Wolke aus bitterem Rauch und einem herben Parfum hat sich ausgebreitet … während du in diesem Buch herumirrst … wie oft hast du nun schon die Seite 17 aufgeschlagen und keinen Kontakt gefunden zu dem, was da geschrieben steht. Wahrscheinlich geht es Autisten so mit anderen Menschen, du kommst einfach nicht heran … du fragst dich, ob das an dem liegt, was dir entgegenkommt, oder an dir selbst, an deiner allmählichen Entfernung von der Welt.
    Wie sie die Beine übereinanderschlägt und mit ihrem iPhone herumspielt, wie spitz die Knie sind,

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