Die Schlaflosen
so heiÃ, dass er es gerade noch ertragen kann, hebt die Handflächen nach oben, auch das beruhigt ihn, und immer wieder reibt er sich die Augen, fährt mit den Fingernägeln fest über seine Brust, dabei prustet, stöhnt und schnaubt er auf eine Weise, die er selbst, würde er sich hören, peinlich fände. Erst als er aus der Kabine tritt und in den beschlagenen Spiegel blickt, fällt ihm wieder ein, weshalb er eigentlich hier ist. Die Veranstaltung muss vor einer Viertelstunde angefangen haben, aber das ist ihm jetzt egal.
Wo bleibt er denn
Spekulationen über den Verbleib des Schlafpapstes machen die Runde, die Stühle des Vortragsraums haben sich wieder geleert. Rottmann schleicht durch die Räume, Frau von Bülow entfaltet ihre Fürsorge in alle Richtungen, da serviert sie Pfefferminztee, dort einen Apéro. Sandow telefoniert alle erreichbaren Nummern der Verkehrswacht durch, vielleicht hat der Professor ja einen Unfall oder steckt in einem Stau?
Aber dann müsste er doch über sein Handy oder seine Mailadresse zu erreichen sein â¦
Man lässt schlieÃlich Leute nicht einfach so warten, ruft die Frau mit dem akkuraten Nackenschnitt aus, ihre Empörung ist in Richtung Rottmann gerichtet, als hätte der etwas damit zu tun. Margot blinzelt zustimmend in Rottmanns Richtung, dem sie sich dank der kurzen einseitigen Begegnung im Speisesaal und dem kleinen Zunicken später in gewisser Weise verbunden fühlt. Er geht auf sie zu und stellt sich ihr vor. Ihre Antwort kann er akustisch nicht verstehen, denn in diesem Moment ertönt der blecherne Ton einer Pendeluhr, vier Schläge, bevor sanfteres Geläut verkündet, dass es bereits sieben Uhr ist. Sie lächelt und wiederholt: Margot. Dabei bleibt sie, trotz der langen Pause und Rottmanns wartendem Blick. SchlieÃlich sieht er sich gezwungen, ebenfalls seinen Vornamen nachzuschicken.
Hans â
Das hat mir gerade noch gefehlt, denkt er, soll man sich etwa duzen hier? Und sofort fühlt er sich an gewisse Kreise erinnert, zu denen er früher Kontakt hatte, Wohngemeinschaften, Lehrergesellschaften, manche Künstler und Leute, deren Gehabe ihm irgendwann zuwider war. Es sind im Grunde Kreise, in denen heute noch die Sprachgewohnheiten von vor dreiÃig Jahren gepflegt werden. Bei der Vorstellung, es könnten Geschichten über ihn kursieren, in denen er als âºder Hansâ¹ vorkommt, schüttelt es ihn.
Er blinzelt zurück, und indem er in lebhafte Augen blickt, kommt ihm wieder die Szene ein paar Stunden zuvor in den Sinn. Er ist erleichtert, dass Margot (meinetwegen Margot) ihm verziehen hat ⦠Ein Schimmer von Dankbarkeit erhellt sein Gesicht. Margot kann sich denken, was in ihm vorgeht und spielt ihren Trumpf jetzt aus. Sie spielt ihn aus, indem sie nach seinem Befinden fragt.
Ich will Ihnen nicht zu nahe treten, sagt sie. Aber vorhin, und damit prescht sie in einer für sie ungewohnt mutigen Weise vor: Vorhin ging es Ihnen nicht so gut, hab ich recht?
Ach, hab ich so ausgesehen?
Der ertappte Rottmann lächelt das ungeschickteste Lächeln, das ihm zur Verfügung steht. Es setzt sich auf sein Gesicht, und er kann nichts dagegen machen. Es ist ein schwaches, niedergeschlagenes Lächeln, das die Aufgabe jedes Kampfesmuts anzeigt. Bei Margot kommt es als Selbstironie an. Tatsächlich senkt er jetzt den Kopf, und sie möchte ihm, dem Entwaffneten, am liebsten übers Haar streichen. Er macht den Vorschlag, sich irgendwo niederzulassen, weist mit dem Kinn Richtung Terrasse.
Da drauÃen vielleicht?
Aber sie schüttelt den Kopf, da sei es zu windig, und sie landen in zwei enormen Clubsesseln.
Die Sessel sind viel zu tief, sagt er, und ich komme mir vor wie als Kind, und auch Sie kommen mir so vor ⦠zwei Kinder, die grade mal übers Lehnenpolster gucken können ⦠Diese Sessel sind für die Garde der langen Kerls gemacht, da sieht man, wo man hinkommt, wenn man sich ins tiefere PreuÃen verirrt â man geht glatt unter.
Margot lacht. Meine GroÃmutter hat immer die Geschichte erzählt, wie die PreuÃen besonders groÃgewachsene Männer für ihre Armee gekidnappt haben. Sie hat es sich immer genau ausgemalt, wie die Männer sich vor den preuÃischen Fängern versteckt haben. Aus irgendeinem Grund hab ich mir diese langen Kerls wie Karl Valentin vorgestellt ⦠unter einer preuÃischen Armee habe ich immer Tausende von Karl
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