Die Schlaflosen
seltsamsten Anschaffungen veranlassten. Etwa ein seinem Gebiss angepasstes Hufeisen aus Plastik, das er sich nachts in den Mund schob, um angeblich krankhaftes Zähneknirschen zu verhindern. Ein weiterer Apparat, weitaus komplizierter als das Hufeisen, war eine Plastikmaske, die mit zwei schwarzen Bändern am Kopf fixiert wurde, eines oberhalb, das andere unterhalb der Ohren. Die Maske setzte man auf die Nase, und von ihr führte ein Schlauch zu einem Gerät, das die Atmung bewacht und Signale sendet, wenn sie aussetzt. Es mutete an wie ein Schreberâsches Erziehungsgerät, und man sah damit aus wie ein Rüsseltier. Der Humor, mit dem Rottmanns damalige Geliebte ihre Witze riss, als sie ihn das erste Mal damit sah, wollte aber nicht auf ihn selbst überspringen. Der Versuch eines neuen Lebens mit der achtzehn Jahre jüngeren Frau wurde durch seine angeschlagene Selbstwahrnehmung auf eine äuÃerste Probe gestellt, und das wiederum war der Grund, dass auch der letzte Rest seiner Schlaffähigkeit dahinschwand. Jedenfalls sieht er das heute selbst so.
Er sah sich damals als einen, dessen physiologisches Leben nur noch mit Hilfsmitteln möglich war, und wenn er sich nachts hin und her wälzte, zwangen sich seiner Fantasie eine Menge anderer Geräte auf, die er irgendwo in Broschüren, im Internet oder in Fernsehfilmen gesehen hatte. Wie etwa eine Pumpe zur Aufrichtung eines Penis oder eine in den After zu schiebende Röhre zur geräuschlosen Ableitung der Darmluft. Unvorsichtigerweise teilte er seine Horrorvorstellungen Sonja mit, die daraufhin in fröhliches Lachen ausbrach und seine Ãngste âºirre komischâ¹ fand. Und obwohl sie sich gleich darauf entschuldigte und mit allen möglichen Koseworten und Zärtlichkeiten wieder gutzumachen versuchte, was sie mit ihrer unbedachten Reaktion auf sein Geständnis angerichtet hatte, war ihm ein dauerhafter Schreck in die Glieder gefahren. Die Folge waren Potenzprobleme weit über das bis dahin unbeängstigende Maà hinaus. Wenngleich sein Freund Karl schon immer der Ansicht war, dass Rottmann sich auf die neue Liebe nur mit dem unbewussten Wissen eingelassen habe, dass sie vorübergehend sei, und obwohl Rottmann dies einleuchtete, jedenfalls wenn er sich das Mosaik seiner Ãberlegungen und Bedenken ins Gedächtnis rief, die der gemeinsamen Wohnungssuche mit der jungen Frau damals vorausgingen, gab er am Ende doch immer wieder seiner Schlaflosigkeit die Schuld an der Trennung von Sonja, und zwar nur seiner Schlaflosigkeit. Seitdem, und das war vor mehr als zwölf Jahren, war ihm kaum noch nächtlicher Schlaf vergönnt, der länger als zwei, höchstens mal drei Stunden dauerte. Das war seine Sichtweise. Sein Therapeut, ein Analytiker, zu dem er immer mal wieder ging, wenn er glaubte, gar nicht mehr zurande zu kommen mit seinem Leben, legte ihm andere Perspektiven nahe, die er sich aber nie für längere Zeit zu eigen machen konnte.
In solche Gedanken vertieft, betritt Rottmann den Vortragsraum. Nur zwei Frauen sitzen da, eine blonde, schwarz gekleidete in der Mitte. Und ganz hinten die Frau, in der er das Spiegelbild wiederzuerkennen glaubt. Ja, natürlich, sie muss es sein â die Kappe auf dem hochgesteckten dunklen Haar und das etwas Theatralische an ihr. Unschlüssig bleibt er in der Tür stehen. Als die Frau mit der Kappe zu ihm hinsieht, grüÃt er sie mit einem Nicken und sie nickt zurück. Ein seltsam verhaltenes Nicken, und er hat sofort Schamgefühle, wenn er an die Situation von vorhin denkt. So macht er wieder kehrt und läuft die Stufen zu seinem Zimmer hoch, ja er sprintet die Treppen hinauf, das tut ihm jetzt gut. Er braucht schon wieder Entspannung, und erst unter der Dusche, die er sich in den verbleibenden Minuten bis zum angekündigten Beginn der Veranstaltung gönnt, erst als es heià auf seinen Rücken und über den verspannten Hals prasselt, kommt er wieder zu sich. Dabei denkt er, das ist doch ein passender Ausdruck: zu sich kommen. Trifft genau zu. Mit weit geöffnetem Mund, den Kopf mal in den Nacken gelegt, mal auf die Brust gesenkt, genieÃt er das strömende Wasser, das er nach und nach heiÃer dreht und bald zu einem einzigen, festen Strahl bündelt. Er dehnt sich und streckt die Arme, beugt sich vor, sodass der Strahl die Wirbelsäule entlangfährt, am Ende setzt er sich nieder und lässt sich den Nacken vom Wasser massieren,
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