Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome
zurückhalten ist auch eine Lüge. Ich habe dich über den Griechen befragt, doch du bist einsilbig. Nicht, dass diese Informationen über den Burschen von großer Wichtigkeit wären, es geht hier um das Prinzip. Entweder du vertraust mir, oder du vertraust mir nicht.«
»Natürlich vertraue ich dir.«
»Gut, dann wäre das geklärt.« Akme trat zu Salome und legte ihr besänftigend die Hand auf die Schulter. »Wenn ich es mir recht überlege, meine Kleine, muss diese Ehe mit Kephallion nicht sein. Der Junge ist in höchstem Maße unberechenbar, und so jemandem würde ich niemals die Herrschaft über das Fürstentum vererben. Als dein Mann würde er natürlich mitregieren, wenn ich dir …«
In Salomes Augen blitzte Hoffnung auf. »Heißt das, du ziehst mich nach wie vor als Nachfolgerin in Betracht?«
Akme machte ein Gesicht, als ob das niemals in Zweifel gestanden hätte. »Du wirst meine Nachfolgerin werden. Du wirst allen Männern zeigen, was in dir steckt.«
»Oh, danke, Großtante. Und ich muss nicht heiraten?«
Akme wiegte den Kopf hin und her. »Unverheiratet können wir dich nicht lassen, meine Kleine. Doch es muss ja nicht gerade Kephallion sein. Wie wäre es mit …« Sie überlegte ein wenig, dann sagte sie: »Zacharias.«
Salome riss ihren Mund vor Schreck weit auf.
»Nur ein Scherz«, beruhigte Akme sie lachend. »Wirklich nur ein Scherz. Ich dachte in Wahrheit an Timon – vorausgesetzt, er will.«
Salome sprang auf. »Timon? Du lässt mich Timon heiraten?«
»Nur, wenn er will.«
»Oh, er will, Großtante, da bin ich ganz sicher.«
»Er müsste zum Judentum übertreten.«
»Das wird er, Großtante. Ich … oh, ich bin dir ja so dankbar.« Sie fiel Akme um den Hals und schluchzte vor Freude. Innerhalb von wenigen Momenten war wieder einmal alles anders geworden. Nun bekam sie alles, was ihr etwas bedeutete: Timon, ein Fürstentum, eine Aufgabe, Anerkennung …
»Schön«, sagte Akme. »Und nun erzähle mir etwas über deinen Bräutigam. Ich muss alles über den Mann wissen, der meiner Kleinen künftig beim Regieren hilft. Alles, hörst du? Alles, was du weißt.«
Salome sah die Tetrarchin mit großen Augen an und holte tief Luft. Sie hätte ihrer Großtante alles erzählt, was sie wusste, jede Meinung offengelegt, jeden Fetzen Erinnerung vor ihr ausgebreitet, jedes Geheimnis verraten, mit Ausnahme von … Sie hatte versprochen, nie über den Mann auf der Zeichnung zu sprechen. Aber vielleicht war das alles gar nicht so wichtig, und sie enttäuschte ihre Großtante, verspielte ihr Erbe und verhinderte die Heirat wegen nichts als einem unwichtigen, kindischen Geheimnis.
Sie stellte sich Timons Gesicht vor, seinen Körper. Sie konnte Timons Stimme hören, wie sie scherzte und sich zärtlich mit dem Meeresrauschen verband. Sie roch das Salz auf seiner Haut, spürte die Hand, die im Hain vorsichtig ihre Stirn berührte, hörte ihn im Garten von Ashdod lachen, erinnerte sich an sein Schweigen in manchen Momenten, dieses Schweigen, das mehr über ihn sagte als alle Worte, die er gesprochen hatte, und sie fühlte plötzlich, wie kompliziert und zerbrechlich Timon eigentlich war.
Könnte sie jetzt bloß mit ihm sprechen, ihm erklären, in welchem Dilemma sie steckte.
Akme streichelte Salome gütig über die Haare. »Ich höre«, sagte sie.
Timon beugte sich über die Pritsche, auf der er jede Nacht schlief, und wühlte unter der Wolldecke. Achtsam blickte er zur Tür. Man hatte ihn nach seiner Ankunft bei den Dienern des Palastes, nicht bei den Sklaven, einquartiert. Es war eine Klause mit zwei anderen Dienstboten, und man konnte nie wissen, wann sie kamen.
Viel Zeit brauchte er nicht. Er hatte den Dolch, mit dem einst Nikolaos getötet worden war und den der Mörder zurückgelassen hatte, nur in ein Tuch gewickelt und zwischen Rahmen und dem Strohpolster versteckt, das als Matratze diente. Nun musste er ihn nur noch unauffällig in seiner Kleidung verstecken.
Er betrachtete die Waffe, so wie er es in den letzten Jahren immer wieder getan hatte. Die Klinge des Dolches schimmerte rötlich wie ein verwaschener Stoff. Er hatte das Blut seines Vaters nie entfernt, aber die Zeit verwischte jeden Tag mehr die Spuren dieses Verbrechens. Jetzt war die Gelegenheit gekommen, die Klinge mit dem Blut der Mörderin zu färben. Salome würde ihn gewiss gleich der Tetrarchin vorstellen.
Nicht das Attentat machte ihm Angst, er hatte es schon zu häufig im Geiste durchgespielt. Nein, seine schlimmste
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