Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome
Stecknadel fallen hören können. Zacharias war längst hinausgeschickt worden; vergeblich hatte er gegen die Idee einer Ehe zwischen Salome und Kephallion protestiert, wobei er wohl weniger an Kephallion dachte als an seinen Ruf als Rabbiner . In einem Nebensatz hatte er seine Besorgnis auf den Punkt gebracht: Salomes Verhalten erinnerte ihn an das ihrer Mutter. Der ganze Hof wusste, dass Herodias nicht deswegen jede Woche in die Ashdoder Kaufmannsvillen eingeladen wurde, weil man mit ihr so blendend Konversation hätte treiben können. Dort trieb man etwas ganz anderes. Nur wenn Theudion für einige Wochen seinen Posten als Toparch von Jebna verließ und an den Hof kam, war Herodias ganz Ehefrau. Sie nahm Theudion sogar in die besagten Kaufmannsvillen mit, doch bei solchen Gelegenheiten war die Abendunterhaltung natürlich weitaus förmlicher. Kurz gesagt, jeder außer Theudion wusste, dass Herodias ein frivoles Biest war. Ab morgen hätte Salome denselben Ruf weg, und überall würden die Verwandten wispern, dass sie das schon lange hatten kommen sehen.
Doch an so etwas konnte Salome jetzt kaum denken. Obwohl sie still und reglos auf ihrem Stuhl saß, überschlugen sich ihre Gedanken.
Sie würde Timon vielleicht nie wiedersehen dürfen. Sie musste ihr Leben mit Kephallion verbringen. Und es gab nichts, was sie dagegen tun konnte.
Die Tetrarchin stand schon seit einer Weile am Fenster und beobachtete sie. Salome konnte nur ahnen, was im Kopf ihrer Großtante vorging. War sie enttäuscht? Sitte und Anstand hatten in ihren Lektionen nie eine Rolle gespielt. War sie verärgert, weil diese Angelegenheit die Pläne durchkreuzte, die sie mit ihr gehabt hatte? Und warum hatte sie ausgerechnet Kephallion als Ehemann bestimmt, wo sie doch wusste, dass Salome und er Feinde waren? Wollte sie sie bewusst hart strafen? Mit jedem Atemzug fühlte Salome sich elender. Sie wusste, dass sie die Tragweite des Ganzen noch nicht begriffen hatte. Alles, was in der letzten Stunde geschehen war, nahm sie wie durch einen Dunst wahr. Doch der würde sich irgendwann lichten, heute Nacht oder morgen, und dann stünde die Zukunft ihr klar und erbarmungslos vor Augen. Davor fürchtete sie sich am meisten.
Eine Ewigkeit schien vergangen, als Akme endlich wieder sprach.
»Archelaos wurde abberufen, ich nehme an, du hast schon davon gehört. Nun, diese Entscheidung des Augustus kann niemanden überraschen. Für Rom ist Stabilität oberstes Gebot. Und Judäa braucht einen Menschen auf dem Thron, der das Land unabhängig halten kann, ohne dass es zu einer unberechenbaren Größe in Roms strategischen Planungen wird. Ein solcher Mensch braucht Stärke, Gewandtheit und die Fähigkeit, in ungewohnten Mustern zu denken. Herodes war so ein Mensch. Bei seinem Tod war Judäa nach außen ein zuverlässiger Bündnispartner, weil er die religiösen Gruppen im Innern unter Kontrolle hatte und weil er unjüdisch denken konnte. Und ich werde sein Werk bald fortsetzen. Ich werde Königin, so wie ich es dir angekündigt habe.«
Salome hob kurz den Kopf. »Das freut mich für dich, Großtante«, sagte sie.
Akme atmete tief durch. »Tja, ich kann verstehen, dass dir momentan andere Dinge durch den Kopf gehen. Das würde mir genauso gehen, wenn ich meine Großtante so hinters Licht geführt hätte.«
Salome wollte protestieren, aber eine kleine Handbewegung Akmes reichte, um sie verstummen zu lassen.
»Ich spreche nicht von deiner Verliebtheit, Salome. Darin sehe ich sogar etwas Positives, denn sie zeigt mir, dass du mutig bist, sonst hättest du dich nicht gegen alle Gesetze mit diesem Griechen eingelassen. Du magst dich vergnügen, mit wem du willst, solange du es heimlich tust. Eine normale Beziehung schadet mir nicht. Und was mir nicht schadet und was mir nicht nutzt, interessiert mich nicht. Ich habe eine Tetrarchie zu regieren und das übrige Judäa sowie die Geschehnisse in Rom im Auge zu behalten, da ist es wichtig, das Bedeutende vom Unbedeutenden zu trennen. Deine Liebelei ist unbedeutend, Salome. Etwas anderes, das du getan hast, ist dagegen bedeutend. Sieh mich bitte an, wenn ich mit dir spreche.«
Salome hob den Kopf.
»Ich habe dir immer vertraut. Ich habe meine Pläne und meine Nachfolge mit dir besprochen. Ich wollte, dass du in meine Fußstapfen trittst. Ich habe in dir eine junge Frau gesehen, die mein Werk fortführen kann. Nun muss ich feststellen, dass du mich anlügst.«
»Ich lüge dich nicht an, Großtante.«
»So? Etwas
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