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Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome

Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome

Titel: Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Walz
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noch nicht alles verloren sei, dass sie bei der Tetrarchin ein gutes Wort für Timon einlegen könne.
    Herodias betrat auf leisen Sohlen das Gemach und setzte sich auf die Bettkante.
    Als sie sah, dass Salome wach war, flüsterte sie. »Wir müssen zur Tetrarchin.«
    »Daran habe ich auch gedacht«, erwiderte Salome sofort. »Timon ist kein Jude, er darf nicht nach unseren Gesetzen bestraft werden.«
    »Bei einem solchen Verbrechen darf er es«, korrigierte Herodias sanft. »Liebes, ich weiß, dass du an ihm hängst, ja, ich kann dich gut verstehen. Jede von uns ist einmal im Leben unglücklich verliebt. Doch glaube mir, kein Mann ist es wert, dass man sich auf Gedeih und Verderben an ihn hängt. Männer in ihrer Gesamtheit sind unverzichtbar, ja, das sind sie, niemals aber ein einzelner Mann. Lass diesen Mann stark, schön und ergeben sein, lass ihn sinnlich und dankbar sein – es gibt Tausende und Abertausende anderer Männer, die ihn in jeder Einzelheit ersetzen können. Stell dir einen Baum vor, der das ganze Jahr über Früchte trägt. Die Männer sind wie Obst, du brauchst sie nur pflücken, jeden Tag, wann es dir beliebt.« Herodias zwinkerte. »Nun ja, da sie verbotenes Obst sind, muss man geschickt vorgehen.«
    Da Salome weiter schwieg, fuhr Herodias fort: »Timon, so hat sich herausgestellt, ist der Sohn von Nikolaos von Damaskus, und er ist ein sehr verwirrter Junge, Liebes. Er gibt der Tetrarchin die Schuld am Tod seines Vaters, was völlig absurd ist. Und in seinen Sachen hat man die Zeichnung eines Mannes gefunden, der einmal hier in den Diensten des Hofes stand. Vermutlich hat er ihn in seinem Wahn schon vor einiger Zeit ermordet, jedenfalls fand man Blutspuren an seinem Dolch.«
    Herodias atmete tief durch und schüttelte den Kopf. »Du musst ihn vergessen, Liebes. Er kommt in den Kerker. Er hat keine Zukunft, aber du hast eine. Und wenn du erst diesen Hof beherrschst, verspreche ich dir, persönlich dafür zu sorgen, dass dir die edelsten, schönsten und tapfersten Männer zu Füßen liegen – oder wo immer du sie liegen haben willst.«
    Herodias atmete erneut tief durch und tätschelte Salomes Hand. »So, und nun ziehe dir etwas Feines an, denn soeben trifft eine wichtige Botschaft aus Rom ein, und die Tetrarchin hat den Hof zusammengerufen.«
    Salome fühlte sich nicht besser. Sie dachte nur an Timon und wie ihm zu helfen war. Vielleicht, kam ihr in den Sinn, war die Botschaft aus Rom so erfreulich für ihre Großtante, dass sie eine Amnestie aussprach. Vielleicht konnte sie Akme wenigstens dazu bringen, sie zu ihm zu lassen, um mit ihm zu sprechen und ihre Liebe zu bekräftigen. Diese Hoffnung allein war es, die ihr die Kraft gab, aufzustehen und sich für den Empfang anzukleiden.
     
    Gewöhnlich diente der vordere Saal des gyneikons zum Empfang hoher Gäste; nur an diesem Tag bestimmte die Tetrarchin es anders. Da die Sonne ungetrübt vom Himmel schien und der Anlass so außergewöhnlich war, dass nicht nur die Familie und die Hofbeamten anwesend sein sollten, sondern auch die herbeigerufenen Kaufleute aus dem reichen Ashdod, befahl sie, den Empfang für den Botschafter auf dem großen Hof abzuhalten. Der fürstliche Thronschemel wurde aufgestellt und Kelche für einen anschließenden Umtrunk bereitgehalten. Die Hofmusiker wurden instruiert, heitere Melodien zu spielen, sobald der offizielle Teil beendet war.
    Die Gesellschaft, die sich versammelte, trug natürlich dem Anlass gemäß feinste Kleidung. Da nach Gottes Gebot keine verschiedenen Materialien miteinander verwoben werden durften, kamen die Stoffe aus jüdischen Webereien und waren grober gefertigt als die glänzenden Gewänder aus Mischgewebe von den korinthischen Webstühlen. Ein solches aber trug die Tetrarchin, als sie erschien. Das gelbe Linnen leuchtete wie ein Sonnenstrahl, und die eingewobenen Goldfäden glitzerten bei jeder kleinen Bewegung der Herrscherin. Sie nahm die Verbeugungen der Anwesenden huldvoll entgegen, setzte sich und nickte.
    Sie gab ein Zeichen, woraufhin ein Zeremonienmeister verkündete: »Der edle Lucius Coponius, Kommandant der zwölften römischen Legion Victoria.«
    Das Erscheinen von Coponius war eine Überraschung. Viele kannten den Römer noch von seinem Besuch an diesem Hof während des jüdischen Aufstands gegen Archelaos. Er befehligte noch immer in der Provinz Syrien jene Legion, die das Grenzgebiet zu Judäa überwachte und die damals Tausende von Juden nach der Niederschlagung des Aufstands

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