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Die Schluesseltraegerin - Roman

Die Schluesseltraegerin - Roman

Titel: Die Schluesseltraegerin - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone Neumann
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momentan mehr als Demütigung. Es behagt mir nicht und stärkt, um ehrlich zu sprechen, eher meine Zweifel. Ich erwarte die Ankunft des Abtes. Im Frühjahr soll es so weit sein. Ihn werde ich bitten, mich mit ihm zu nehmen, zurück an den Kaiserhof oder an den des Königs von Italien. Hier jedenfalls werde ich nicht bleiben.«

    »Aber dort könnte dich dein großer Feind erwarten – Taddäus.«
    »Er wird sich sicherlich über mein Erscheinen freuen.«
    »Nun gut, Agius. In dieser Sache werde ich wohl immer ein Unwissender bleiben. Und trotz deiner Abreisehoffnungen soll ich sie finden.«
    »Ich will mich verabschieden und ihr raten, das Weite zu suchen. Geh jetzt, Bruder. Dort hinten sehe ich jemanden kommen. Der Statur nach handelt es sich zwar nur um den gutmütigen Bruder Andreas, aber auch er muss uns hier nicht miteinander reden sehen.«
    Schweigend klopften sich die beiden Männer gegenseitig auf die Schultern und schritten, der eine langsam, der andere schnelleren Schrittes, nach verschiedenen Seiten auseinander.

XXIX
    O ttmar, der einzige Betreiber einer Schank- und Gaststube weit und breit, war – ganz abgesehen von dem Mut, den er einst bewiesen hatte, ein solch neues und bisher nie dagewesenes Unternehmen zu betreiben – ein eher träger und missmutiger Mensch.
    Er war der fettleibigste Mann, den Inga jemals zu Gesicht bekommen hatte. Nahezu ununterbrochen kaute er mit seinen verbliebenen schwarzen Zahnstummeln auf irgendetwas herum. Meist war es Schweinespeck, manchmal auch nur ein Stück Schwarte; wichtig blieb allein, dass es fettig und nahrhaft war.
    Alles in allem konnte man Ottmar einen erträglichen Zeitgenossen nennen. Er schimpfte viel, aber daran brauchte man sich nicht zu stören, er rülpste und furzte viel, aber auch daran konnte man sich gewöhnen, er roch abstoßend, was Inga ebenfalls nach einiger Zeit nicht mehr auffiel, und er begnügte sich damit, ihr hin und wieder lediglich einen Klaps auf die Schenkel zu geben. Das konnte Inga erdulden. Bei jeglicher anderweitigen Annäherung hätte sie sich gezwungen gefühlt, das Weite zu suchen. Doch das stand nicht zu erwarten, denn Ottmar war ungeheuerlich bewegungsunfreundlich.
    Ebenso bewegungsunfreundlich, aber dafür weniger gut erträglich war hingegen die Mutter des Wirtes. Inga hatte die alte Frau erst am Abend ihres ersten Tages in der Taverne entdeckt. Sie war in der hintersten Ecke des Hauses auf ein Lager gebettet
und schlief tagsüber die meiste Zeit. Nicht aber in der Nacht. In der Nacht nämlich schrie die Alte immerzu entsetzlich. Inga versuchte sich an dieses markerschütternde Geräusch zu gewöhnen, doch anders als Ottmar gelang es ihr nicht, in Seelenruhe weiterzuschlafen, während die Alte im Abstand von nur wenigen Augenblicken immerzu ein lautes »Wawa« oder »Mama« ausstieß. Wie nur, dachte Inga in solchen Momenten der nächtlichen Wut bei sich, sollten erst Gäste ihre Ruhe finden, wenn dieses alte und dazu garstige Weib ständig schrie?
    Sie hätte der Alten ihr Geschrei verziehen, wenn sie ansonsten lieb und freundlich zu Inga gewesen wäre. Doch das war sie nicht. Anders als ihr Sohn, war sie von zerbrechlicher, ja dürrer, knochenartiger Gestalt. Ihr ganzes Gesicht bestand nur noch aus Spitzen – spitze Wangen, spitze Nase, spitzes Kinn; und Inga war sich sicher, dass sie auch als junge Frau nicht viel anders ausgesehen hatte. Was immer Inga ihr Gutes tat – wenn sie ihr zu trinken, zu essen brachte, sie wusch, ihr bei der Verrichtung ihrer Notdurft half, sie neu bettete oder ihre Wäsche wechselte -, immerzu spuckte und kratzte sie. Ein Segen war nur, dass sie tatsächlich am Tage sehr viel schlief.
    Alles in allem war es dennoch erträglich in der Taverne des Ottmar, und Inga lebte nun bereits seit mehr als einen Monat dort. Das Jahr neigte sich dem Ende zu, man sah dem Julfest entgegen oder besser dem Weihnachtsfest, denn Letzteres galt es nun zu feiern. Gäste kamen nur wenige in die Schankstube, da es im Winter an Händlern und Besuchern des Klosters fehlte. Hin und wieder fand der eine oder andere Bewohner des Fleckens Huxori seinen Weg hierher. Meist waren es Männer, Knechte, die des Sonntags frei für den Kirchgang bekommen hatten, jedoch lieber ihre Zeit bei Ottmar verbrachten; aber auch Freie, die sich des Abends hin und wieder hier trafen, um nicht bei ihren Familien sein zu müssen. Man zahlte in Naturalien,
vorwiegend mit Speckschwarten, die Ottmar so gerne kaute. Und als Gegenleistung

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