Die Schluesseltraegerin - Roman
erhielten sie schales Bier oder einen Becher dünnen Mets, beides kein Genuss, wie Inga fand, aber offenbar war es eher die Gemeinschaft als die Qualität der Getränke, die man suchte.
Von all dem ließ sich natürlich nicht leben, und deshalb befand sich im Hinterhof der Taverne noch ein Stall, in welchem Kühe, Schweine und Ziegen ihre gemeinsame Wohnstatt hatten. Allesamt waren sie bei Ingas Ankunft sehr verwahrlost, und es war nicht einfach, im Winter genügend Futter zu finden, um die Tiere einigermaßen zu mästen.
»Das alles nur wegen meines verflixten Beins«, hatte Ottmar sich mürrisch entschuldigt. »Habe ich sonst alles alleine gemacht. Ganz allein. Schau nur, wie viel Fleisch und Schinken dort hängt. Selbst geschlachtet. Aber mit dem Bein …«
Und das Bein war es dann auch, welches Ottmar endgültig davon abhielt, nach Ingas Ankunft nur einen Finger krumm zu machen. Inga war es recht, denn so wurde sie unentbehrlich und konnte sicher sein, eine Zeitlang bleiben zu dürfen. Die Felder, Wiesen und Äcker, welche zu dem Anwesen des Ottmar gehörten, waren überschaubar, und laut dem Wirt gab es im Flecken Huxori genügend Helfer anzuheuern, die bei Bedarf für ihn pflügten, säten und einfuhren. Inga wollte das abwarten, denn zunächst stand der ruhige Winter bevor, und ob sie tatsächlich bis zum Frühjahr hier verharren würde, wusste sie noch nicht.
Bisher hatte niemand sie erkannt, niemand nach ihr gesucht, aber das hatte sie auch nicht befürchtet. Der Flecken Huxori formte sich zu einer immer größer werdenden Siedlung und bot Platz für zahlreiche Neuankömmlinge, die gewillt waren, sich als Unfreie zu verdingen. Arbeit gab es genug, denn das nahe Kloster wuchs und hatte seine Ansprüche.
Inga war sich über ihren eigenen Status noch nicht im Klaren, und wenn man sie fragte, gab sie sich einfach als verwitwete Base des Ottmar aus, die dem armen kranken Manne und dessen bettlägeriger Mutter zu Hilfe gekommen war. Ottmar war mit dieser Ausrede zufrieden.
Menschen aus der Talsiedlung des Liudolf hatte sie bisher nicht zu Gesicht bekommen. Es gab auch keinen Grund für diese, eine Reise ins entfernte Huxori anzutreten. Nicht im Winter.
Doch dann, eines Tages – die Raunächte waren vorüber, die Tage begannen wieder ein wenig länger zu werden -, öffnete sich bereits am Mittag die Tür zur Schankstube, und ein junger Mann kam herein.
Er war in Begleitung eines Mädchens, eines liederlichen Mädchens, denn Inga erkannte sie sofort an ihrem unangenehmen Kichern – es war Trudi, Tochter eines Unfreien und bekannte Ortsdirne. Und bei dem jungen Mann – Inga traute ihren Augen kaum – handelte es sich um Bero, ihren Bruder. Zunächst verbarg sie sich im hinteren, vollkommen düsteren Teil der Taverne und tat so, als wolle sie der schlafenden Mutter das Lager richten. Doch schon bald ertönte von vorne die dröhnende Stimme des Ottmar, der nach wie vor regungslos am Feuer saß:
»Weib, wo bleibst du? Da sind welche gekommen.«
Inga zögerte, aber dann trat sie doch an die beiden Turteltauben heran, welche sich ebenfalls nahe dem wärmenden Ofenfeuer ein Plätzchen gesucht hatten, wo sie, innig miteinander beschäftigt, gar nicht auf Inga zu achten schienen, als diese kam, um sie nach ihren Wünschen zu fragen.
»Einen Krug Bier«, antwortete Bero nur, ohne seinen Blick von der kichernden Trudi zu lassen.
Inga schritt zu einem der großen Fässer, die viel zu nah am Feuer direkt hinter dem dicken Ottmar standen, und füllte einen
schmutzigen Holzkrug mit warmem Bier. Den Krug in der einen, zwei Becher in der anderen Hand, ging sie zurück zu den Gästen und setzte ihnen wortlos ihre Bestellung vor die Nase. Dabei schwappte das Bier über den Rand des Kruges und landete als große Pfütze mitten im Schoß des Bero. Eine willkommene Abkühlung an richtiger Stelle, dachte Inga bei sich, nur leider war das Bier nicht kühl.
»Bist du denn …«, doch Bero kam nicht dazu, seine Beschimpfung auszusprechen, da er im gleichen Moment seine Schwester erkannte.
Inga blickte ihn scharf an, und er verstand. Trudi und auch Ottmar hatten nicht bemerkt, dass die beiden gut miteinander bekannt waren. Bero jedoch verlor nach dieser Überraschung mit einem Mal die Lust an dem Stelldichein mit Trudi. Diese, ein in solchen Dingen erfahrenes Mädchen, bemerkte die plötzliche Unlust sogleich, und nach einigen vergeblichen Versuchen, den Liebsten wieder aufzumuntern, zog sie schließlich, mit dem
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