Die Schluesseltraegerin - Roman
ich will. Dieses Schweigegelübde ist nicht gottgewollt, sondern einzig die durch und durch menschliche Rache des Taddäus.«
»Noch immer habe ich keine Ahnung von dem, was ihn so rachsüchtig macht, Agius.«
»Das ist eine alte Geschichte, guter Melchior. Er ist von nachtragendem Gemüt und deshalb sehr gefährlich. Aber nun genug von diesem nichtigen Widerling. Erzähle mir, warum man dich wieder herbeordert hat. Was soll mit unserer Kapelle geschehen?«
»Das weiß auch ich nicht. Der Vater Prior sagte nur, die Schäflein seien offenbar noch nicht reif genug für dieses Experiment. Vielmehr, so hieß es, brächten wir durch die Nutzlosigkeit dieses Unterfangens den guten Ruf des Klosters in Gefahr. Wer ihm den Auftrag für den Rückzug erteilt hat, ob Wala, Taddäus oder der Herrgott selbst – ich weiß es nicht. Er sagte
nur, man wolle noch warten, einige Jahre, Jahrzehnte, Jahrhunderte vielleicht.«
»Und dann wandern sie wieder in die Eigen- und Bistumskirchen. Das ist doch nicht, was unser Vater Prior beabsichtigen kann.«
»Es sind ja nicht so viele. Wichtiger ist der Bau der Klosterkirche. Hierher soll es die wachsende Zahl an Einwohnern des Fleckens Huxori treiben. Sie wünscht man sich fortan enger an Corbeia Nova gebunden«, berichtete Melchior weiter.
»Dabei haben sie bereits eine große, prächtige Kirche. Nun gut, ich verstehe dennoch, welche Überlegungen dem zugrunde liegen. Wie dem auch sei: Viel mehr interessiert mich, was die Menschen in unserem alten Wirkungsbereich machen.«
»Ach, Agius. Das seltsame Treiben nimmt seinen Lauf. Inga von der alten Schmiede stand eines Tages vor der Kirchentüre und verlangte nach Asyl. Man bezichtigte sie, ihre Schwägerin Berta getötet zu haben. Zudem, und das war die jüngste Nachricht, welche ich vernahm, ist nun ein weiteres Mitglied des Hilgerhofes gewaltsam verstorben: der junge Heinrich, ein Bub von nicht einmal sechzehn Jahren. Den Hals hat man ihm durchtrennt im Walde hinter seinem Heimathaus. Und dass der Ansgar Hilgersohn wirr im Kopf ist, weißt du sicherlich auch noch nicht?«
»Nein.« Agius war sprachlos.
»Ja, er ist wirr im Kopf. Man rief mich, um zu entscheiden, ob es Dämonen sind, die sich seiner bemächtigt haben. Ich kam zu keinem Ergebnis. Man darf nicht voreilig sein bei diesen Menschen. Wer weiß, sonst binden sie ihn noch und versenken ihn in ihren Mooren. Aber eines ist gewiss: Er ist nicht mehr derselbe. Redet unverständlich, schaut scheel und, glaube mir, wenn dies aus meinem Munde kommt, will es etwas heißen: Er lacht selbst über Dinge, die alles andere als komisch sind.«
»Was ist mit ihr? Ist sie noch immer in der Kirche?«
»Das weiß ich nicht. Die Wut der Leute hat sich ein wenig gelegt. Ich glaube nicht, dass man sie noch meuchelt, wenn man ihrer habhaft wird. Dennoch ist sie in Gefahr, zumal ich nicht sicher bin, wie groß ihre Schuld tatsächlich ist.«
»Ich glaube nicht an ihre Schuld. Hat man noch etwas von dem weißen Mann gehört?«
»Frau Inga erwähnte ihn erneut. Ich jedoch riet ihr davon ab, den Leuten von ihm zu erzählen. Sie würden ihr nicht glauben. Viele halten das Ganze nach wie vor für eine blutige Fehde zwischen den beiden Häusern des Hilger und des Bero. Allerdings sind ihre Meinungen schwankend, sie erzählen sich je nach Lust und Laune mal dieses und mal jenes.«
»Aber die Wut ihr gegenüber hat sich gelegt, sagst du.«
»Ja, etwas. Ich habe sie beschwichtigt. Und auch die alte Gunda, das geschwätzige Weib, hat auf die Menschen eingeredet. Vielleicht werden sie Inga eines Tages wieder dulden.«
»Hat sie denn tatsächlich etwas mit dem Tode der Berta zu tun?«
»Ich darf die Beichte nicht abnehmen, Bruder Agius, aber dennoch fühle ich mich zur Verschwiegenheit verpflichtet, wenn sich mir eine reuige Seele anvertraut. So viel sei gesagt: Unfälle können auch dem kundigsten Medicus geschehen.«
»Das ist alles sehr sonderbar, Melchior, sehr sonderbar.«
»So ist es. Doch wir sind des Auftrages entledigt, uns um das Seelenheil dieser Verirrten zu kümmern. Wir müssen sie ihrem Schicksal überlassen und auf bessere, gottgefälligere Zeiten hoffen.«
»Bist du etwa zum bösen Spötter geworden, Melchior?« Agius blickte den Freund verdutzt an.
»Ich bin ein wenig verbittert, ja.«
»Wir haben viele Fehler gemacht. Allen voran meine Wenigkeit.
Dich trifft nur geringe Schuld an dem Unglück. Ich war es, der nicht zu ihren Herzen durchdringen konnte. Sie blieben verschlossen.
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