Die Schluesseltraegerin - Roman
zwischen eurer Familie und der des Meinrad?«
Der Alte schüttelte den Kopf und steckte sich dann ein paar getrocknete Blätter in den Mund, um mit seinem zahnlosen Gaumen darauf herumzukauen.
»Das sind nichts weiter als trockene Brennnesseln. Als die gute Inga noch hier war, hat sie mir immer ein herrliches Gebräu gemacht. Brennnesselwein hat sie es genannt, ein Aufguss aus Met und ebendiesem nur auf den ersten Eindruck garstigen Gewächs. Das hilft gegen Vergesslichkeit und gegen müde Knochen, sagte sie. Jetzt jedoch kümmert sich keiner mehr um mich. Ein Wunder, dass mir die faule Magd wenigstens im letzten Herbst ein paar dieser Kräuter gesammelt hat. Geschimpft hat sie, weil sie sich die Pfoten verbrannt hat. Dummes Weib.«
Und er spuckte einen Teil der zerkauten Kräuter in Richtung der angesprochenen Magd auf den Boden. Diese würdigte den Alten nur eines müden Blickes.
»Mit der Familie des Meinrad haben die Todesfälle also nichts zu tun, meinst du.« Agius blieb hartnäckig.
»Nein. Das mit Hilger und Bero war nur der Anfang, nur der Anfang. Der Meinrad ist ein Zauderer, von dem hatten wir nie etwas zu befürchten. Sein Sohn, der junge Bero, ist aus anderem Holz geschnitzt, aber auch er hat mit dieser Sache nichts zu tun. Obwohl er jetzt Nutzen daraus zieht …«
Und mit diesen Worten wandte er seinen alten Kopf der heute
sehr schweigsamen Gisela zu und blickte sie aus kleinen, faltigen Sehschlitzen an. Diese tat, als habe sie nichts gehört.
Ada kam zurück zur Feuerstelle und beteiligte sich an dem Gespräch: »Ulrich, hör auf, dich zu beschweren, und erzähle keine Märchen. Niemand weiß, ob es überhaupt einen Schuldigen für all die bösen Schicksalsschläge gibt, die wir in den letzten Jahren haben erfahren müssen.«
»Mach mir einen Brennnesselwein, Ada, und ich verspreche dir, zu schweigen«, sagte der Alte finster.
Agius zog die Brauen zusammen.
»Was weißt du?«, fragte er den Alten erneut und beugte sich vor, dem Greis direkt in die Augen schauend.
»Ich weiß alles, und du weißt nichts. So soll es bleiben. Eines gebe ich dir noch mit auf den Weg, Mönch: Es wird nichts mehr geschehen. Alles, was geschehen sollte, ist eingetreten. Es sei denn …«, und wieder blickte er böse zu Gisela hinüber, »… Es sei denn, Gisela glaubt, wir würden uns erneut auf eine Verbindung mit den Meinradschen einlassen.«
Agius rieb sich mit beiden Händen das Gesicht, und Melchior blickte mit großen, schielenden Augen vor sich hin. Beide konnten sich nach diesen verwirrenden Worten nur noch weniger einen Reim auf die ganze Sache machen als zuvor.
»Guter Ulrich, du sprichst in Rätseln und machst dich dadurch verdächtig«, sagte Agius schließlich kühl. Er hatte seinen Blick mittlerweile starr auf die Flammen gerichtet. »Wer ist der Weiße, der Waldmann, dem auch wir bereits leibhaftig begegnet sind?«
Der Alte schüttelte nur stur den Kopf.
»Es gibt ihn also. Ist er der Mörder?«
»Brennnesselwein, Ada«, sagte der Greis nur, schloss die Augen, legte sich auf seinem Lager zurück und stellte sich schlafend.
XXXIV
E s war ein angenehmer Frühlingstag, an dem der Abt samt Gefolge wieder abreiste. Viele Menschen säumten den Weg, um einen Blick auf die Fremden, ihre glänzenden Rüstungen und Waffen, ihre prächtigen Pferde und die ungewöhnlichen Sänften zu werfen, von denen in einer, hinter Vorhängen verborgen, der Abt saß.
Auch Inga stand vor der Taverne und winkte den Männern zu, die mehr als eine Woche Gäste im Hause des Ottmar gewesen waren, welcher damit ein ausgezeichnetes Geschäft gemacht hatte. Doch dieser hatte sich zu keinem Dank, zu keinem freundlichen Wort verpflichtet gefühlt, als man ihm die zahlreichen Silberdenare ausgehändigt hatte. Und so saß er auch jetzt, wie immer, in seiner Gaststube, trank Bier und kaute auf einer alten Schweineschwarte herum.
Inga war nervös. Angestrengt versuchte sie einen Blick in eine der drei Sänften zu werfen. Sie wollte sehen, ob er mit ihnen reiste. Ob sie ihn abgeholt und mit sich genommen hatten. Doch es war ihr nicht möglich, die Sänften waren trotz des schönen Wetters und trotz der jubelnden Menschen verhangen. Doch dann, mit einem Mal, öffnete sich einer der Vorhänge, und Inga konnte das Gesicht eines alten Mannes erkennen. Er nickte freundlich, lächelte milde, winkte den Menschen würdevoll zu und schwankte dann, in seiner seltsamen Tragevorrichtung sitzend, davon.
Agius würde sicherlich nicht in einem
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