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Die Schmerzmacherin.

Die Schmerzmacherin.

Titel: Die Schmerzmacherin. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marlene Streeruwitz
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nach vorne durch. Dreschflegelbewegungen. Regelmäßig und vollständig. Sie sah seine Fußsohlen beim Paddeln. Er war mit 3 Zügen auf der anderen Seite des pools und begann Längen zu schwimmen. Auf dem Rücken. Er rauschte mit diesen kreisenden Armbewegungen durch das Wasser. Stetig. Klatschend und rauschend. Sein Bauch in der Mitte. Seine Gliedmaßen bewegten sich um diese weiße Wölbung und zogen diesen Bauchhügel den pool hinauf und hinunter.
    Sie fühlte sich schwer. Kalt und dünn und knochenschwer. Und unbeweglich. Eine Mühe schon die Vorstellung, sich auf dem Ruhebett zu drehen. Wegzudrehen. Umzudrehen. Aufstehen. Das konnte sie sich schon gar nicht vorstellen. Und wieder dieses hilflose Weinen. Trostlosigkeit. Das war, weil sie nichts gegessen hatte. Seit wann. Hatte sie ein Mittagessen gehabt. Frühstück ja sicher nicht. Aber sie konnte sich auch daran nicht erinnern, und es war gar nicht der Grund. Sie aß nie regelmäßig.
    Sie hörte Autos. Sah sie. Sah das Licht der Autos. Die Scheinwerfer strichen über den gegenüberliegenden Hang. Weißleuchtend. Die Autos bogen in die Hoteleinfahrt ab. Die Poolhalle lag auf dem Hügel über der Einfahrt. Wegen der Aussicht. Die billigen Zimmer waren unter der Poolhalle in den Hügel gebaut. So wie ihres. Sie lag hier oben, weil sie es nicht aushalten konnte, dass dieser pool über ihr war und nach links drei Zimmer weiter wieder Erde und auf der anderen Seite die Bierkisten und die riesigen Müllcontainer. Im Sommer musste das unerträglich sein. Im Sommer würde es noch riechen da hinten. Aber im Winter. Und da konnten alle lachen über sie, wie sie wollten. Da konnte man sie fragen, so viel man wollte. Dass sie doch mit der U-Bahn auch fahren könne. Oder mit dem Zug durch den Kanaltunnel nach London. Dass da ein ganzes Meer über ihr hinge. Und warum ihr das nichts ausmache. Die begriffen nicht, dass in einem Zug. Oder in der U-Bahn. Da bewegte sie sich. Da fuhr sie die ganze Zeit. Da blieb sie keinen Augenblick an einem Fleck. Da flüchtete sie fortwährend. Und dann. Im Zug. Oder in der U-Bahn. Da konnte sie selber gehen. Und stehen. Im Zug oder in der U-Bahn. Da lag sie nicht. Da musste sie nicht liegen. Und dann noch schlafen. Aufrecht. Im Stehen. Da ging das alles. Und mit Musik sowieso. In ihrem Zimmer hier. Da hatte sie die Musik im Ohr. Immer. Beim Schlafen sowieso. Und hier. Sie hatte immer dann schon etwas getrunken. Mit Gino und Heidi in der Bar. Wenn alle anderen endlich gegangen waren und Gino und Heidi Feierabend machten. Ein Glas Wodka, und es ging besser. Sie brauchte die Musik, und deshalb war sie auch keine Alkoholikerin. Obwohl die das nicht zugeben würden. In der Angehörigenunterstützungsselbsthilfegruppe in Stockerau. Da hätten sie das schon als Alkoholismus eingestuft. Weil sie das Glas Wodka brauchte, um in ihr Zimmer gehen zu können. Gino kam ja auch manchmal mit, oder sie schlief bei ihm oben unter dem Dach. Aber das war nur hier. Sie würde nicht ewig in diesem Wellnesshotel am Rand der Welt wohnen müssen, in das Leute nur zum öffentlichen Ficken kamen und wo man im pool nur am Mittwoch schwimmen konnte, weil da das Wasser dann von biologischen Substanzen gereinigt war. Weil die wasserlöslichen festen biologischen Bestandteile der Körpersäfte nach drei Tagen weggefiltert waren.
    Sie ging aber trotzdem nicht hinein. Nie. Weil Gino jeden Tag schwimmen ging. Und Gino. Gino war schon sauber. So schon. Gino hatte nur Angst vor Ansteckungen für seinen Schwanz. Alles andere war ihm gleichgültig. Haare. Speichel. Schweiß. Das störte ihn nicht. Er glaubte an die Kraft der Desinfektion und behauptete immer, dass die Sammlung von Schamhaaren am Grund des pools. Dass diese Haare doch gewaschen wären, und sie solle nicht so eine Prinzessin sein. Er rannte dann auch mit seinen Damen direkt von der Sauna in den pool. Ohne Dusche. Und dann fielen sie übereinander her. Kleinkindertollereien wurden da gegeben. Bis es wieder mit der Angelegenheit begann. Es war nur gut, dass noch Donnerstag war und keine Wochenendgäste. Gregory zählte nicht. Sie wollte nicht aufstehen müssen. Sie wollte hier liegen bleiben und wissen, dass hinter der geheizten Panoramascheibe, auf der keine Eisblumen möglich waren, die Welt so groß sich ausbreitete und der Himmel darüber. Hier in der Wärme und hinausschauen und niemand sonst. Ganz tief über den Hügeln war noch ein grauheller Schein weit hinten.
    Warum war Cindy da. Hatte sie geschlafen.

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