Die Schmerzmacherin.
worden war. Und obwohl sie gleich im ersten Haus im Ort unten wohnte, weigerte sie sich, auszuhelfen. »Ich versteh sie ja. Sie hat an Weihnachten zu ihrem Freund nach Müchen fahren wollen. Aber der Jungeibi hat ihr gesagt, dass sie dann gleich bei dem bleiben soll.« Sie würde an Biggys Stelle in München bleiben, sagte sie. Ja, das sage sie jetzt, seufzte Gino und ging wieder ins Badezimmer. Er stand vor dem Spiegel und zuckte mit den Schultern. Das ginge schon, sagte sie. So wie er jetzt aussähe. Das ginge schon. Er müsse doch sowieso in die Sauna. Mit den Mädels. Sie verstünde gar nicht, warum er sich so fesch machen wolle. Gino seufzte wieder. Gerade für die Sauna bräuchte er doch diesen ganz besonders starken Festiger. Er kam wieder ins Zimmer und zog sein Jeanshemd an und eine Lederweste darüber. Ob sie schon zu Abend gegessen habe, fragte er und zog die Schuhe an. Trachtenschuhe mit Gummisohlen. Er trug diese hässlichen Schuhe, damit er nicht tanzen musste. Er zeigte dann nur die Gummisohlen her und sagte, dass man damit nicht tanzen konnte. Gino hatte Tänzer werden wollen. Immer schon. Aber weil der Bauernhof seines Großvaters im Niederbayrischen so weit weg von allem war, hatte es nur zu Sport gereicht. Und weil die zweite Frau des Großvaters schon alles zu Lebzeiten überschrieben bekommen hatte und der Großvater lange genug leben würde, dass die Schenkung nicht mehr angefochten werden konnte. Deshalb hatte Gino seine Ausbildung zum Sportpädagogen abgebrochen und arbeitete als personal trainer. Da machte er alles. Nur tanzen. Dazu konnte ihn keine seiner Kundinnen bringen. »Ich habe alles beisammen.« Gino saß über seine Füße gebeugt. »Was braucht man denn. Wenn man heiraten will.« Sie rollte sich auf die Seite und lehnte ihre Hüfte gegen seinen Rücken. »Ich schau nach. Das kann doch keine Hexerei sein. Ihr seid doch auch in der EU .« Er grunzte beim Schnüren der Schuhbänder. Sie boxte ihm in den Arm. »Wir sind das Heilige Römische Reich, und ihr habt zu uns gehört. Wir haben euch Hunderte von Jahren beherrscht. So schaut’s aus.« sagte sie, und ja, er solle das doch herausfinden. Sie sei entschlossen. Unter allen Umständen sei sie entschlossen. Sie müsse diesen Namen loswerden. Sie habe das Gefühl, dass sie mit diesem Namen keine Luft bekommen könne. »Du bekommst keine Luft, meine Liebe, weil du zu viel gesoffen hast.« »Glaubst du, du kannst eine Trinkerin heiraten.« »Gibt es etwas anderes als Trinkerinnen?« Gino ging zur Tür. Er lasse den Schlüssel da. Falls sie unten nicht schlafen könne. Er wüsste ohnehin noch nicht, ob er es überhaupt ins Bett schaffen würde. »Schönes Hully-Gully!« rief sie ihm nach. Er ließ die Tür ins Schloss fallen. Sie hörte ihn davongehen.
Es war wirklich das Wichtigste. Das mit dem Namen. Sie drehte sich auf den Bauch und legte den Kopf auf den Arm. Ginos Kleider lagen auf dem Boden verstreut. Die Badezimmertür stand offen. Unter dem Waschbecken zwei Spraydosen und eine weiße Flasche. Ein nasses Handtuch hing über der Klinke der Badezimmertür. In der Ecke zur Duschnische schwarzer Schimmel. Über der einen Reihe Fliesen an der Wand schwarzer Schimmel die Kante zur Duschecke hinauf und in Flecken unter dem Waschbecken zur Toilette hin. Wahrscheinlich war unter der Holzverkleidung an den Wänden überall solcher Wandschimmel. Gino lüftete auch nie. Bei ihm mussten die Fenster immer dicht geschlossen sein. Und er war nicht geruchsempfindlich. Aber ohne Gino. Sie hätte es hier nicht aushalten können. Ohne ihn. Hätte sie das alles nicht ausgehalten. Ohne ihn. Wenn sie ihm alles erzählte, dann wurde das alles erst wirklich. Erst wenn sie es ihm erzählt hatte, hatte sie es erlebt. So musste es mit Geschwistern sein. Und vielleicht hatte sie ja welche. Ihr unbekannter Vater konnte 25 Kinder haben. Und ihre Mutter. Vielleicht lebte sie in Amsterdam mit noch einmal 2 Kindern und führte ein ganz normales Leben. Es wäre lustig gewesen, wenn Gino wirklich ein Halbbruder sein könnte. Wenn sie wirklich heirateten, dann war das eine doppelte Versicherung. Sie robbte an den Bettrand und suchte in Ginos Nachtkästchen. Gino hortete Notizblöcke, das wusste sie. Er nahm aus jedem Zimmer, in das er mit diesem Job hier geriet. Er nahm dann immer den Notizblock mit. Die Notizblöcke waren aber nicht in seinem Nachtkästchen. Da lagen die » TV « und ein Filzstift. Gino strich Sendungen an, die er sehen wollte. Sie nahm den
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