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Die Schmerzmacherin.

Die Schmerzmacherin.

Titel: Die Schmerzmacherin. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marlene Streeruwitz
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situations. – Force. Force should always be your last resort. When answering judgment questions, keep in mind that the test makers know that the best officer will use the least force possible in all situations.«
    Gino war mit breiten Laschen an das Bett gesichert. Sein Oberkörper schräg hochgelagert. Die Beine leicht abgewinkelt. Gino war nackt. Ein Tuch über die Hüften. Schläuche kamen unter dem Tuch hervor und hingen schwer. Das Weinen wurde aber so stark. Bei »Force«. Das Schluchzen überwältigte sie, und sie beendete den Paragraphen mit hoher quietschender Stimme.
    Sie stand am Bett und bekam keine Luft und musste dann fast schreiend Atem holen. Die Krankenschwester stand auf und kam zu ihr. Sie nahm sie am Ellbogen und führte sie zum Eingang zurück. Sie wollte bleiben. Konnte aber nichts sagen. Sie wurde an den Tisch mit den zwei Frauen in den gestreiften Kitteln gesetzt und bekam einen Kaffee vorgesetzt. Milch. Sie mochte keine Milch. Das Schluchzen wurde wieder schlimmer, und sie bekam keine Luft. Sie bekam einen Kaffee ohne Milch. Aber Zucker. Und sie solle trinken. Eine Decke wurde ihr umgehängt. Der Kaffee wurde ihr eingeflößt. Die Frauen hielten sie an den Schultern, und wenn das Schluchzen die Schultern gar so hochriss, streichelten sie die Schultern und murmelten, dass alles wieder gut werden würde. Am Ende hatte sie den Kaffee getrunken. Sie hatte sich den Mund verbrannt und hatte noch einmal so schrecklich weinen müssen. Weil es aber schmerzte, konnte sie die Beherrschung langsam wiederfinden. Die Schmerzen im Mund lösten ein armseliges Weinen aus. Sie konnte ruhig dasitzen und vor sich hin weinen.
    Ob sie denn dabei gewesen wäre, fragten die beiden Pflegerinnen sie dann. Es sei ja gerade so, als hätte sie einen Schock. Die Frauen musterten sie. Sahen ihren Körper entlang. Sie schüttelte den Kopf. Nein. Sie wäre im Hotel gewesen. Sie hätte geschlafen. Die Frauen sahen einander an. Ob sie Wasser trinken wolle. Was jetzt geschähe, fragte Amy. Sie müsse sich einmal um nichts kümmern. Irgendwann solle sie in die Aufnahme gehen und die administrativen Dinge regeln. Aber normalerweise blieben die Angehörigen einmal da. Bei ihren Lieben. Die Frauen sahen sie an. Ob Ginos Mutter benachrichtigt sei. Fragte Amy. Gino habe eine Mutter. Die müsse doch geholt werden. Das sei doch wichtig. Wirklich wichtig. Ginos Mutter. Gino und seine Mutter. Die hätten ein gutes Verhältnis. Ein wirklich gutes Verhältnis und deswegen. »Gino.« fragte die Pflegerin rechts. Ja. Eigentlich Ingo. Ingo nenne sich Gino, weil er Ingo nicht mochte. Als Name. Gino sei kein Ingo, hätte Gino gesagt, aber natürlich stünde in seinen Ausweisen Ingo. Man könne sich ja in Deutschland nicht so einfach umbenennen, und das wäre das Blödeste daran, keinen englischen Pass zu haben. In England. Da könne man sich ganz einfach anders nennen. Da müsse man nicht so Dinge tun. Wie heiraten. Oder adoptieren. Es koste auch gar nicht viel. Wäre das denn so wichtig für sie, fragte die Frau links. Und sie solle einen Keks essen. Da. Sie habe sicherlich noch kein Frühstück gehabt. Die Cafeteria hätte dann um 8.00 Uhr auch wieder offen. Da könne sie dann etwas Ordentliches essen. Sie müsse sich jetzt gut um sich selber kümmern. Regelmäßig essen. Viel trinken. In diesen Räumen hier. In der Intensivstation. Da wäre die Luft sehr trocken. Sehr trocken. Die beiden Frauen lachten. Deshalb wären sie beide auch so früh gealtert.
    Und das waren sie. Amy schaute den Frauen ins Gesicht. Die Haut dieser beiden Frauen war aber nicht so krümelig und faltig und bleich, weil sie in einer trockenen Umgebung arbeiten mussten. Sie konnte sehen, dass diese beiden Frauen rauchten. Wie ihre Mutter. Sie kannte das von der Betsimammi. Und das Mammerl erinnerte sie immer daran. »Rauch nicht.« sagte sie immer. »Du ruinierst dir die Haut. Wie deine Mutter. Was hat die für eine schöne Haut gehabt. Wie du. Meine Almeline.« In Wirklichkeit hoffte das Mammerl, dass sie kein Haschisch zu rauchen begann. Das Mammerl dachte, dass es genügte, nicht zu rauchen, und die Drogenkarriere war schon beendet, bevor sie beginnen hatte können. Ach. Das Mammerl. In Wien. Und die Betsimammi. Wahrscheinlich in Amsterdam. Und sie selber. In Cham. Im Kreiskrankenhaus in der Intensivstation. Und niemand wusste, wo sie gerade war. Niemand konnte ihr helfen. Nicht einmal Onkel und Tante Schottola. Die kannten sich schon gar nicht aus. Die wussten

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