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Die Schmerzmacherin.

Die Schmerzmacherin.

Titel: Die Schmerzmacherin. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marlene Streeruwitz
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Bildchen. Sie wurden immer kleiner nach unten. Damit sie Platz hatten. Eines von diesen Bildern. Sie würde einem von diesen Bildern auffallen. Wenn sie jetzt hier zu schreien begann. Das Unglück darüber, was dann wieder geschehen würde, ließ sie wimmern. Sie hörte sich selbst wimmern. Der Mann und die Frau in der ersten Reihe drehten sich zu ihr um. Schauten sie an. Wandten sich wieder ab. Sie legte die Arme über den Sessel vor ihr und legte den Kopf auf ihre Arme. Was war los. Es stimmte gar nichts. Sie war verwirrt. Sie hatte nicht in ihr Zimmer im Hotel gehen können und daliegen. Sie saß hier im Jogger und heulte herum. Auf der Anzeigentafel war Samstag. Für sie war Freitag. Sie hätte lernen sollen. Sie hätte diese Prüfung längst machen sollen. Dann hätte sie gar nicht mehr hier sein müssen. Jetzt einmal. Wenn sie das correction officer exam abgelegt hätte. Ja. Ablegen. Das nannten die so. Ablegen. Die Unruhe in ihr. Das schaukelte. Schwappte. War es so weit. War es so weit gekommen, und sie war übergeschnappt. War sie die asoziale, verrückte Person geworden, die die Tante Marina ihr prophezeit hatte. Wegen der Betsimammi. Aber auch das Mammerl. Und alle in der Schule. In Stockerau jedenfalls. Und in England dann ja auch. War die schlechte soziale Prognose jetzt eingetroffen, und sie würde in Cham in Bayern in der Wartezone des Kreiskrankenhauses zu schreien beginnen, und eine Fotografie würde von der Wand steigen und sich ihrer annehmen. Infusionen und Tabletten. Ein Bett und alles im Schwindel verschwimmend. War das mit der Zeit. Dass sie einen Tag. Verloren. Sie hatte einen Tag verloren. Wusste nichts. Alkohol. Aber Alkohol war nur das Medium von solchen Störungen. Musste sie sich selbst einliefern. Wäre das das Richtige. Sollte sie die Gelegenheit ergreifen und sich. Ausliefern. Aber sie hätte ihre Manuskripte mitbringen müssen. Als Beweise. Wenn sie vorlegen hätte können, wie sie lernen sollte, warum sie dem Gefangenen Pedro den Gang auf die Toilette verwehren musste. Weil die Gefahr bestand, dass der Gefangene Pedro sich auf der Toilette selbst verletzen könnte und der Gefangene Pedro in die »Safariland-spit-net-transport-Kapuze« gesteckt werden musste und mit den »Hiatt-Thompson-1010-series-stainless-steel-chain-link-handcuffs« versichert in die Isolierzelle gebracht werden und sie ihn dort auf den Box-lock-Sicherheitsstuhl schnallen musste und ihn da festsperren. »Until prisoner makes eye contact and indicates subservience.«
    »Das sind doch Sie!« Eine Stimme rief. Sie schaute auf. Schaute sich um. Die Frau vorne in der ersten Reihe rief ihr das zu und deutete auf die Anzeigetafel. »Sind Sie das nicht.« Der bayrische Akzent. Sie hätte lachen können. Dieser Dialekt klang immer komisch. Ja, das wäre ihr Name. Das wäre eigentlich nicht ihr Name, aber das wäre der Name, den sie angegeben habe. Sie redete vor sich hin. Versuchte die Frau dabei anzulächeln. Sie ging zum Lift und drückte auf das Feld mit dem Pfeil nach oben. Sie schaute nach der Frau. Die sah sie an. Müde. Sie saß an ihren Mann gelehnt und sah ihr zu. Sie sah ihr in die Augen. Sie sahen einander in die Augen. Die Frau nickte dann. Sie nickte ihr zu. Der Lift kam, und die Türen rauschten auf. Ein großer Lift. Ein Lift, in dem Krankenbetten transportiert werden konnten. Silbrig metallen innen. Boden. Wand und Decke. Alles silbrig metallen und ein Profil aus Pfeilen. Auch rundherum. Sie stand im Lift. Die Frau hatte sich abgewandt. Die Frau hatte ihren Kopf abgewandt und schaute wieder vor sich hin. Sie im Lift. Dass die Frau ihren Blick abgewandt hatte. Sie fühlte sich verlassen deshalb und wusste, dass es keinen Grund dafür gab und dass sie doch fast keine Luft bekam, so sehr bestürmte sie diese Verlassenheit.
    Sie hatte nicht gewusst, dass Cindy da sein würde. Sie war aus dem Lift gestiegen und hatte sich umgeschaut. Rechts hinunter. Auf einem der Sessel den Gang entlang. Cindy saß weit unten. Sie saß mit den Händen vor sich auf den Knien. Sie hatte einen dunklen Mantel über die Schultern geworfen. Beim Näherkommen sah sie die Verbände. Cindys Hände waren in dicke weiße Verbände gewickelt. Cindy hatte ein Pflaster hinter dem Ohr und eines an der Stirn. Sie war im Gesicht blau und blutig, und ihre Arme und Beine waren abgeschürft. Cindy hatte ein Goldlamékleid mit Spaghettiträgern an und goldene Sandalen. Keine Strümpfe. Cindy saß in sich zusammengesunken. Sie bewegte sich nicht,

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