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Die Schmerzmacherin.

Die Schmerzmacherin.

Titel: Die Schmerzmacherin. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marlene Streeruwitz
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oder dass sie den Schlüssel zum Haus hatte und sie das Schloss ändern mussten, weil sie nicht wussten, wo sie war und was sie vorhatte. Sie steckte den Schlüssel ein. Die Marina würde ohnehin immer glauben, dass sie mit einem Mann zusammen war. Weil die Marina sich das selber wünschte. Sie ging. Sie ließ die Haustür hinter sich ins Schloss fallen. Aber sie versperrte die Tür nicht.
    In der underground. Sie fuhr nach Euston Square. Sie hatte oft genug das Spital gezeigt bekommen, in dem ihre Urgroßmutter gestorben war. In dem die Gebärmutter ihrer Urgroßmutter in den Sondermüll geworfen worden war. Es war dann trotzdem nicht genug herausgeschnitten gewesen, und die Metastasen hatten sie noch gelähmt. Vor dem Sterben. Zum Sterben war sie aber in ihr Haus in Golders Green gegangen. Gestorben war sie da nicht. In diesem Spital. Und das hinter Marinas Haus. Royal Hospital. Royal. Das brauchte sie nicht. Das hatte sie auf der Moira House Girls School gelernt. Dazu war sie nicht gestört genug. Sie saß in der Circle Line. Sie war zu Sloane Square geeilt. Schnee war nur noch rund um die wenigen Bäumchen auf King’s Road gelegen. Sonst alles nass und kalt. Mit dieser Kälte, die an die Haut kroch und sich unter der Kleidung einnistete. Sie hätte einen Pelzmantel von Marina anziehen sollen. Aber sie hatte keinen gesehen. Wahrscheinlich waren die beim Pelzhändler und hingen in einem Kühlschrank. Oder sie waren alle mit in Italien. In Italien konnte man ja Pelze tragen. Da waren alle von Pelzen begeistert. In London gab es doch immer noch Widerstand, und es wurde mit Farbbeuteln auf Pelze gezielt. Unter dieser konservativen Regierung verhaftete einen die Polizei sicherlich gleich. Wenn man nur in die Nähe von Pelzen kam und einen Plastikbeutel in der Hand trug, wurde man abgeführt. So einen Plastiksack, wie sie neben sich liegen hatte. Wo sollte sie den loswerden. Es gab nirgends Papierkörbe oder Mülltonnen. Nirgends. Wenn sie diesen Sack stehen ließ, wurde sie von einer Kamera sicherlich gefilmt. Sie sah aus wie eine bag lady. Mit diesem Zeug in der Hand. Sie sah sich um. Sie saß allein auf der Bank. Gegenüber ein Paar. Sie hatten Kaffee von »McDonald’s« in der Hand. Sie schauten vor sich hin. Ließen sich schaukeln. Wie spät war es eigentlich. Sie wusste nicht, wie spät es war. Sie hatte das Aufladekabel für ihr handy vergessen, und Uhr trug sie keine. In der underground station. Sie hatte sich nicht umgesehen. Sie versuchte, einen Blick auf die Uhr des Mannes zu werfen. Sie wünschte sich ihr snowboard und einen Hang und lockeren Naturschnee und sonst nichts. Sie sah sich boarden. Weiche lange Bögen. Die Hüften. Das Genick. Die Schultern. Alles gefasst. Alles bereit zu springen und easy. Den Bogen vom Boden in die Luft hinaufziehen und in der Leichtigkeit da den Umschwung. Dann der nächste Hügel.
    Sie fuhren zwischen hohen Mauern. Abgebröckelte Ziegelmauern. Drähte und Rohre die Strecke entlang. Die Rohre mürbe und löchrig. Die Drähte rissig. Abgerissen. Und alles schmutzig. Das Paar auf der Bank gegenüber hatte zu schmusen begonnen. Der Ärmel der Daunenjacke des Manns war dabei zurückgeschoben. Er hielt aber den Becher mit dem Kaffee in der Hand. Sein Handgelenk war verdreht, und sie konnte nur das Armband der Rolex sehen. Sie wurde wütend. Sie war mit einem Mal so wütend. Sie hätte diesem Mann seinen Kaffee ins Gesicht schütten mögen und auf ihn eindreschen. Mit dem Plastiksack und der Seifenschale drinnen. Immer und immer wieder. Dreschen.
    Sie stand auf und wartete im Stehen auf Euston Square. Sie hielt den Plastiksack an sich gepresst. Die Taschen über die Schultern. Sie kramte ihre oyster card aus der Seitentasche ihrer Handtasche. Wann kam diese Station. Sie musste hier hinaus. Wieder fuhr der Zug solche kaputte Leitungen entlang. Die Kunststoffschienen, hinter denen die Kabel geführt wurden. Sie waren zerbrochen und abgefallen. Die Kabel dahinter schmutzverklebt. Klebriger Dreck. Aus vielen Jahreszeiten. Die Frau auf der Bank kicherte. Sie hatte Kaffee auf den Boden verschüttet. Sie fuhren in Euston Square ein, und sie flüchtete aus dem Zug.
    Oben dann. Auf der Straße. Das Spital war ausgeschildert. Angeschrieben. Sie musste nur den Schildern folgen. Kleine Schilder waren das. Diskrete Schilder. Sie ging. Das Gehen leicht. Im Gegensatz. Es war unleicht gewesen. Die letzten Tage und Wochen. Es war eine drückende Unleichtigkeit gewesen. So war das also. Sie konnte

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