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Die Schmerzmacherin.

Die Schmerzmacherin.

Titel: Die Schmerzmacherin. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marlene Streeruwitz
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nur mit diesem Gehen denken. Entlanggehen. Sie konnte sich nicht hineindenken. In den Inhalt. So wurde gegangen. In diesem Zustand. Taschen. Nicht schwer. Es durfte nichts zu schwer sein. Langsam. Jedenfalls nicht schnell. Sie hätte jetzt wieder laufen können. Sogar hüpfen. Sie hatte einen Tampon in sich hinaufgestopft und eine dicke Nachtbinde. Für die ersten Tage, war auf der Packung gestanden. Sie sprang aber nicht. Sie lief nicht. Sie hielt dem Zustand der letzten Tage und Wochen die Treue. So konnte sie es auch besser glauben. Sie spürte die gläserne Aufbewahrungsbox zwischen ihrem Oberarm und dem Körper. Es war alles außerhalb. Und es tat nichts weh. Obwohl das kommen musste.
    Sie ging im Strom über die Straßen. Bog in der Richtung der maternity clinic ein. Es war ein schöner Tag geworden. Oder hier. In diesem Teil von London war das Wetter schön. Sonne. Vom Schnee fast nichts mehr. Die Frauen trugen Hüte und Mützen gegen den Wind. Sie ging und konnte sich sehen. Wie sie beim Gehen auf und ab wippte. Wie sie zielsicher nach vorne strebte. Sie sah sich verlangsamt. Sie wurde langsamer. Sie musste einbiegen. Sie glaubte, die Kurve nicht gehen zu können. Sie musste nach rechts einbiegen, und sie hatte das Gefühl, ihre Füße rutschten nach links davon. Als wäre sie zu schnell gelaufen. Pferden passierte das, und in der Sportschau konnte man das dann in Zeitlupe sehen. Wie die 4 Beine des Pferds elegant aneinandergelegt über den Boden schlitterten und dann das schwere Tier auf dem Boden diesen Beinen nachglitt.
    Es war aber nur ein leichter Schwindelanfall. Sie hätte wenigstens Wasser trinken sollen. Die Tür zur Klinik war klein. Lächerlich klein. Ein Mauseloch, dachte sie. Ein Mauseloch zu diesem riesig hohen Gebäude. Grüne Fensterscheiben. UCL in Goldbuchstaben auf den Gleittüren. Ein niedriger Gang. Sie ging auf die Rezeption zu. Ein Paar überholte sie. Der Mann schob sie zur Seite. Er trug eine schwere Tasche. Die Frau humpelte ihm nach. »Third floor.« sagte der Mann hinter der Glasscheibe. Die Frau atmete hechelnd. Schweiß auf der Stirn. Der Mann schaute sich suchend um. Die Frau deutete um die Ecke und ging voraus. Der Mann hinter der Glasscheibe schaute sie fragend an. »Miscarriage.« sagte sie. »First floor.« antwortete er. Sie ging der schwangeren Frau nach. Die verschwanden gerade in einem Lift. Sie ging langsamer. Sie wollte nicht mit denen im Lift fahren. Sie wartete. Lange. Dann musste sie mit einer Familie aus einem asiatischen Land den Lift teilen. Sie stieg vor ihnen aus. Sie musste an einer Tür läuten. Es kam niemand. Sie läutete wieder. Sie läutete Sturm. Sie stand vor der beigegelben Doppeltür und schlug dann mit der Faust gegen die Tür. Es geschah aber nichts. Sie lehnte sich gegen die Tür. Lehnte mit dem Rücken dagegen. Sie wusste nicht, was sie tun sollte. Sie hatte bis hierher gedacht. Was jetzt geschehen sollte. Sie hatte keine Ahnung. Sie ließ sich zu Boden rutschen. Sie saß mit dem Rücken gegen die Tür auf dem Boden. Die Beine lang ausgestreckt vor sich. Die Scheide in die Binde gepresst. Ein Ziehen hatte begonnen. Ein ziehender, zerrender Schmerz. Aber leise. Es kam ihr der Gedanke, dass sie jetzt zu weinen beginnen sollte. Dürfte. Dass das jetzt eine Gelegenheit war, bei der sie sich das gestatten sollte. Da fiel sie nach hinten in die Station. Die Tür war aufgemacht worden. Sie lag zu Füßen eines jungen Mannes. Der schaute auf sie hinunter. Was sie da mache. Sie blieb liegen und fragte, wer er wäre. Er sei der diensthabende Arzt hier. Dann wäre sie ja richtig, sagte sie. Sie brauche Hilfe.
    Es kam dann eine Krankenschwester. Der Arzt rief in den Gang hinter sich, und eine Krankenschwester kam. Nach langem. Eine Afrikanerin beugte sich über sie. Ob sie aufstehen könne. Sie rappelte sich auf und ging hinter der Frau her. Sie sollte sich setzen. Ein Warteraum. Niedrige Decken. Alles beigegelb gefärbt. Die Sessel. Die Wände. Die Decken. Die Türen. Die Türschnallen. Sie hörte Lachen. Die Krankenschwester ging in einen Raum nach rechts. Das Gelächter kam von da. Frauenstimmen. Sie saß und wartete.
    Sie wartete. Es gab kein Fenster in dem Raum. Nur Wände. Helles Licht, aber kein Tageslicht. In dem Raum nach rechts wurde geredet. Das Lachen schwoll an. Ebbte ab. »Happy Birthday« wurde gesungen. Applaus. Geschrei. Gläsergeklingel. Sie wartete. Sie fand Tränen auf ihre Hände tropfen. Sie schien zu weinen. Sie wusste es aber nicht so

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