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Die Schmerzmacherin.

Die Schmerzmacherin.

Titel: Die Schmerzmacherin. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marlene Streeruwitz
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Dieses Elend im Leib durchzuschneiden. Whisky nippen. Am Fenster sitzend und in diese Gärten hinausstarrend hatte sie sich gewünscht, Whisky zu nippen und das Elend wegzudrücken und die Weinerlichkeit zu vertreiben. Und die Unruhe. Die Unruhe, die Arme und Beine flattern ließ, obwohl sich nichts bewegte. Die Unruhe hatte vom Bauch aus in den Kopf ausgestrahlt und in die Gliedmaßen. Im Kopf war die Unruhe auf die Weinerlichkeit getroffen und hatte sie stöhnen lassen. Sie war am Fenster gesessen und hatte hinausgestarrt und gestöhnt dabei. Den Whisky hatte sie nicht getrunken. Sie war zu schwer gewesen, hinunterzusteigen und eine Flasche aus dem Salon heraufzutragen. Melvin hätte das sicherlich für sie gemacht. Melvin erkundigte sich alle zwei Stunden, ob sie etwas bräuchte. Sie hatte nichts gebraucht. Und Melvin war ihr auf die Nerven gegangen.
    Heute. Jetzt. Es war alles wieder klar. In ihr. Es war alles klar und eindeutig, und sie konnte wieder denken. Selbst das Unglück war scharf umrissen und schattenlos. Die Angst war ungenau geblieben. Aber die Angst war tief unten. Hinter allem. Und eigentlich war sie in der Angst. Sie bewegte sich in Angst. In diesem Haus war es nur besonders deutlich. Sie schaute auf die Fuchsspuren hinaus. Sie hätte sich mit einem Fuchs unterhalten wollen. Sie hätte einem Tiergesicht ihre Geschichte erzählen wollen. Einer Person. Einem Menschengesicht. Sie hatte es ja nicht einmal dem Onkel Schottola erzählen können. Das Ausmaß war zu groß. Oben. In der Brust oben. Da, wo sie noch empfinden konnte. Da war das Wissen ausgebreitet, dass diese Geschichte nicht erzählt werden konnte. Nicht das, was sie von dieser Geschichte selber wusste. Und schon gar nicht, was sie vermuten musste, das geschehen war und woraus sich die Folgen ergeben hatten, mit denen sie. Sie dachte nach. Kämpfte sie mit den Folgen. War das kämpfen. Es schien ihr mehr, dass sie entlanggeführt, wurde. Sie wurde die Folgen entlanggeführt und sie konnte nicht sehen, wer das war, der sie führte. Weil diese Person in ihr innen war. Innen in ihr gewesen war. Das war ja nun nicht mehr so. Sie war leer. Ausgeleert. Und anstelle der Schwangerschaft hatte sie die Adresse ihrer leiblichen Mutter, von der sie angenommen hatte. Alle hatten sie in dem Glauben gelassen. Alle hatten genickt und bejaht. Ihre Mutter lebte in Amsterdam. Sie war Künstlerin und ging in die coffee shops. Sie war eine Künstlerin wie die Urgroßmutter und behandelte ihre Kinder wie die Urgroßmutter. Sie ließ ihre Kinder von anderen aufziehen und lud sie zu den Ferien zu sich ein. Sie war nie eingeladen worden. Sie hatte drei Briefe von ihrer Mutter, und weil die aus Amsterdam waren, hatte sie angenommen, dass. Aber das war alles zu viel. Ein stechender Schmerz im Unterleib.
    Sie suchte in den Schubladen. Sie fand dann eine flache Glasdose mit Plastikdeckel. Zum Aufbewahren von Schinken im Eiskasten. Oder Käse. Geschnittener Käse.
    Sie ließ das Ding in diese Glasdose gleiten. Sie rammte die Seifenschale zur Daunendecke in den Plastiksack. Warf das alles in einen riesigen Müllsack aus wasserblauem Plastik. Glänzend. Sie verknotete den Müllsack. Sie öffnete die Sicherung an der Glastür zur Terrasse. Das war eine Einladung an die Einbrecher. Sie wünschte sich, dass jemand einbrechen würde. Am liebsten solche, die in den Häusern wüteten. Die Fäkalien über alles schmierten. Die alles zerschnitten. Die alles zerschlugen. Die Sammlung von Jugendstilvasen. Das kostbare Glasservice. Die Lobmeyr-Gläser. Alles, alles Scherben und ein scharf bitterer Geruch. Und vielleicht kamen dann die Füchse ins Haus und wohnten da. Vielleicht wohnten die Füchse in solchen Häusern wie diesem hier. Die Aunt Marina. Sie war doch fast nie da. Das Haus in Italien. Das Haus in Los Angeles. Der Mann in Stockholm. Töchterchen Selina auf St. Andrews. Studierte. Oder so. Sie nahm die Glasdose und den Müllsack.
    Sie ging noch einmal zurück und öffnete die Tür zur Terrasse hinaus. Einen schmalen Spaltbreit ließ sie die Tür offen stehen. Sie wollte nicht feig vor sich dastehen. Dass sie wieder zu höflich gewesen wäre. Das musste Rache sein. Wenn die Marina so einen Fuchs in ihrer Designerküche antreffen würde. Sie stieg zum Salon hinauf. Sammelte ihre Sachen ein. Im Vorzimmer zog sie dann doch ihren alten Dufflecoat an. Sollte sie die Schlüssel zurücklassen oder mitnehmen. Was würde denen mehr Sorge machen. Dass sie in London verloren herumirrte

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