Die-Schnaeppchenjaegerin
Fall zu viel Aufmerksamkeit schenken! Ich will einfach für eine Weile untertauchen.«
»Gut«, sagt Dad. »Also, was uns betrifft... Du bist nicht hier.«
Er streckt die Arme quer über den Tisch aus und nimmt meine Hand ganz fest in seine. Ich kann ihm ansehen, was für Sorgen er sich macht, und ich hasse mich für das, was ich da tue. Ich habe so ein schlechtes Gewissen, dass ich einen Moment lang in Erwägung ziehe, in Tränen auszubrechen und ihnen alles zu erzählen. Also, die Wahrheit.
Aber... ich kann nicht. Ich kann meinen lieben, gütigen Eltern einfach nicht sagen, dass ihre angeblich so erfolgreiche Tochter mit dem angeblich erstklassigen Job in Wirklichkeit eine schludrige, verlogene Chaotin ist, die bis über beide Ohren in Schulden steckt.
Wir essen gemeinsam zu Abend (Waitrose Cumberland Pie) und sehen uns eine Agatha-Christie-Verfilmung an, dann gehe ich nach oben in mein altes Zimmer, ziehe eins von meinen alten Nachthemden an und lege mich schlafen. Als ich am nächsten Morgen aufwache, bin ich so glücklich und ausgeruht wie schon seit Wochen nicht mehr.
Und was noch viel besser ist: Ich betrachte meine alte Zimmerdecke und fühle mich sicher und geborgen. Wie in einem Kokon aus Baumwolle, geschützt vor der garstigen Welt da draußen. Hier findet mich niemand. Niemand weiß, dass ich überhaupt hier bin. Hier bekomme ich keine bösen Briefe, keine bösen Telefonanrufe und keinen bösen Besuch. Ich befinde mich quasi in einer Freistätte. Ich bin jeglicher Verantwortung entledigt. Ich fühle mich, als wenn ich wieder fünfzehn wäre und meine einzige Sorge darin bestünde, meine Hausaufgaben zu machen. (Dabei habe ich gar keine.)
Es ist bestimmt schon neun Uhr, als ich mich endlich aufraffe, aufzustehen. Meilenweit weg, in London, sitzt Derek Smeath in seinem Büro und erwartet mich in einer halben Stunde. Ich verspüre ein leichtes Ziehen im Bauch und überlege einen Moment, ob ich in der Bank anrufen und mich entschuldigen soll. Doch schon während ich überlege, weiß ich genau, dass ich das nicht tun werde. Damit würde ich nämlich die Existenz der Bank anerkennen. Ich will sie aber vergessen.
Ich will alles vergessen. Nichts soll mehr existieren. Weder die Bank noch VISA, noch Octagon. Sie sollen alle aus meinem Leben verschwinden. Für immer.
Einen Anruf tätige ich aber doch - nämlich ins Büro, damit ich nicht in Abwesenheit gefeuert werde. Ich rufe um 9:20 Uhr an - kurz, bevor Philip kommt - und habe Mavis vom Empfang am Apparat.
»Mavis?«, krächze ich. »Ich bin’s, Rebecca Bloomwood. Könnten Sie Philip bestellen, dass ich krank bin?«
»Ach, Sie armes Ding«, sagt Mavis. »Bronchitis?«
»Weiß nicht«, krächze ich. »Ich gehe nachher zum Arzt. Also dann. Bye.«
Das war’s. Ein Anruf- und ich bin frei. Niemand schöpft Verdacht - warum auch? Mann, diese Erleichterung. Ganz schön einfach, sich aus der Affäre zu ziehen. Ich hätte das schon viel früher tun sollen.
Irgendwo tief in mir nagt aber das scheußliche Wissen, dass ich nicht ewig hier bleiben kann. Dass mich die Realität früher oder später auch hier einholen wird.
Ja, schon, aber - jetzt noch nicht. Das wird schon noch ein Weilchen dauern. Und bis dahin will ich nicht einmal daran denken. Ich werde jetzt gemütlich eine Tasse Tee trinken, Morning Coffee gucken und sämtliche unangenehmen Gedanken aus meinem Hirn löschen.
Als ich in die Küche komme, sitzt Dad am Tisch und liest Zeitung. Es duftet nach Toast, und im Hintergrund läuft das Radio. Genau wie früher, als ich kleiner war und noch zu Hause gewohnt habe. Damals war das Leben so einfach. So einfach. Keine Rechnungen, keine Mahnungen, keine bösen Briefe. Ich werde von einer immensen Nostalgie woge erfasst und muss tatsächlich ein paar Tränchen wegblinzeln, als ich Teewasser aufsetze.
»Na, das ist ja interessant«, sagt Dad und pocht mit dem Finger auf den Daily Telegraph.
»Was denn?«, frage ich, während ich einen Teebeutel in meine Tasse hänge.
»Scottish Prime hat Flagstaff Life übernommen.«
»Ach, ja«, sage ich zerstreut. »Stimmt. Ich glaube, ich hatte so was läuten hören.«
»Und alle, die in Flagstaff Life investiert hatten, kriegen jetzt enorme Gewinne ausgezahlt. Angeblich die größte Gewinnausschüttung, die es je gegeben hat.«
»Wow«, sage ich und bemühe mich, interessiert zu klingen. Ich nehme mir eine von Mums Hausfrauenzeitschriften, schlage sie auf und will mein Horoskop lesen.
Aber irgendetwas lenkt mich
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