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Die Schnapsstadt

Die Schnapsstadt

Titel: Die Schnapsstadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Yan
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trage ich deine Kleider, und wenn alles vorbei ist, wird dein Leben mir gehören. Er nahm die Pistole aus seinen verschmutzten eigenen Kleidern und steckte sie ein. Dann aß er eine rohe Gurke aus dem Kühlschrank und nahm einen kräftigen Schluck aus einer Flasche Zhangyu-Wein. Der Wein war weich und glatt wie die Haut einer schönen Frau. Als er sich umdrehte und gehen wollte, wälzte sich die Lastwagenfahrerin auf den Bauch und krabbelte auf allen Vieren auf ihn zu wie ein Frosch oder ein Kleinkind. Der Ausdruck verzweifelter Hilflosigkeit in ihren Augen erinnerte ihn an seinen eigenen Sohn. Sein Herz war plötzlich voll väterlicher Liebe. Er ging zu ihr hinüber und streichelte ihren Kopf.
    «Du armes Ding», sagte er, «mein armer kleiner Liebling.»
    Sie schlang die Arme um seine Beine und blickte zärtlich zu ihm auf.
    Er sagte: «Ich gehe jetzt. Ich kann nicht zulassen, dass dein Mann ungestraft davonkommt.»
    «Nimm mich mit», bat sie. «Ich hasse ihn. Ich werde dir helfen. Sie fressen kleine Kinder.»
    Sie stand auf, zog sich schnell an und nahm eine Flasche mit einem ockerfarbenen Pulver von der Kommode.
    «Weißt du, was das ist?»
    Der Ermittler schüttelte den Kopf.
    «Das ist Babypulver. Sie benutzen es als Stärkungsmittel.»
    «Wo kommt das her?», fragte der Ermittler.
    «Die Sonderernährungseinheit des städtischen Krankenhauses stellt es her», antwortete sie.
    «Aus lebenden Säuglingen?»
    «Ja, aus lebenden Säuglingen. Man kann sie schreien hören.»
    «Komm, wir müssen zum Krankenhaus.»
    Sie nahm ein Hackmesser aus der Schublade und reichte es ihm.
    Lachend warf er es auf den Tisch.
    Auch sie lachte gackernd wie eine Henne, die ein Ei gelegt hat, oder ein hölzernes Rad, das über Pflastersteine rollt. Dann warf sie sich, lächelnd wie eine Fledermaus, wieder über ihn, schlang die Arme zärtlich um seinen Nacken und presste die Beine mit der gleichen Zärtlichkeit gegen seine Knie. Er schüttelte sie gewaltsam ab, aber sie fiel sofort wieder über ihn her, wie in einem schlechten Traum, der nicht enden will. Der Ermittler sprang wie ein Affe durchs Zimmer und versuchte, sie loszuwerden.
    «Wenn du mich noch einmal anspringst», keuchte er, «jage ich dir eine Kugel in den Arsch.»
    Verdutzt hielt sie einen Moment inne. Dann brach sie in hysterisches Schreien aus: «Tu's doch! Erschieß mich doch! Erschieß mich schon, du undankbares Schwein!»
    Sie riss sich die Bluse auf. Ein purpurfarbener Plastikknopf fiel zu Boden, schlug mit einem hellen Ping auf und rollte wie ein kleines Tier hin und her. Was immer es war, das ihn in Bewegung hielt, es war ebenso unabhängig vom Sog der Schwerkraft wie vom Reibungsverlust auf dem Holzboden. Der Ermittler versuchte, den Knopf mit dem Fuß zu stoppen, und spürte, wie er unter seine Fußsohle glitt und sie durch den Strumpf und die dicke Schuhsohle hindurch kitzelte.
    «Was für ein Mensch bist du eigentlich? Hat dich Jin Gangzuan dazu angestiftet?» Die zärtlichen Gefühle des Ermittlers nach dem Geschlechtsakt waren bereits dabei zu verfliegen. Sein Herz verhärtete sich und nahm die Farbe von kaltem Stahl an. «Wenn das so ist, bist du seine Komplizin», sagte er mit kühlem Lächeln. «Wahrscheinlich hast du selber Säuglinge gegessen, und Jin Gangzuan hat dir befohlen, mich von meinen Ermittlungen abzuhalten.»
    «Was für eine unglückliche Frau ich doch bin …» Sie fing an zu schluchzen. Dann brach sie in Tränen aus. Schließlich lief ihr das Wasser in Strömen über das Gesicht. «Fünfmal war ich schwanger, und jedes Mal hat er mich wegen einer Abtreibung ins Krankenhaus geschickt … Er hat jeden einzelnen Embryo verschlungen …»
    Von Kummer und Verzweiflung überwältigt, konnte sie sich nicht mehr auf den Beinen halten und wäre gestürzt, hätte der Ermittler nicht den Arm ausgestreckt, um sie zu halten. Dann fiel sie ihm in die Arme und begann, mit den Lippen an seinem Nacken zu spielen. Plötzlich biss sie zu – und zwar kräftig. Mit einem Schmerzensschrei rammte ihr der Ermittler die Faust in den Bauch. Sie quakte wie ein Frosch und fiel rücklings zu Boden. Sie hatte scharfe Zähne, das wusste Ding Gou'er aus Erfahrung. Er fuhr sich mit zwei Fingern über den verwundeten Nacken. Die Fingerkuppen waren blutig. Sie lag mit offenen Augen auf dem Boden. Erst als der Ermittler sich abwandte, um zu gehen, wälzte sie sich ihm in den Weg. «Bruder», heulte sie, «Bruder. Bitte verlass mich nicht. Ich will dich küssen …» Das

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