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Die Schnapsstadt

Die Schnapsstadt

Titel: Die Schnapsstadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Yan
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raschelnden Blätter davon und entschwand bald den Blicken der Zuschauer. Die Ranke, die dem Kürbiskern entsprossen war, wurde zu Staub, der zu Boden sank. Die Menge stand noch lange sprachlos da, bis sie schließlich nach Hause gingen.
    In Gedanken an das schöne Mädchen verloren, kehrte Yu nach Hause zurück. Er aß nicht, er trank nicht, er lag Tag und Nacht unbeweglich im Bett und schrie in seinem Delirium, als sähe er Geister und Dämonen. Seine entsetzten Eltern riefen eine ganze Reihe von Ärzten zu Hilfe. Aber sie alle konnten das Geheimnis seiner beharrlichen Krankheit nicht lösen, die sich jeder medizinischen Behandlung widersetzte. Yu nahm an Körper und Seele ab, bis er am Rand des Grabes stand. Die weinenden Eltern wussten nicht mehr ein noch aus. Da hörten sie plötzlich das Klingeln einer Pferdeschelle vor dem Tor, und eine laute Stimme rief: Ich bin es, der Onkel des Jungen! Noch hingen die Worte in der Luft, als auch schon ein kräftiger junger Mann zur Tür hereinstürmte. Er verbeugte sich und sagte: Schwager, ältere Schwester, wie ist es euch ergangen, seit wir uns zum letzten Mal gesehen haben? Die Mutter sah ihm ins Gesicht, das mit seiner langen Nase, dem breiten Mund, dem gelben Haar und den blauen Augen so gar nicht chinesisch wirkte. Der Anblick verschlug ihr die Sprache. Der Mann ging zum Bett des Jungen und erklärte: Mein Neffe hat einen schweren Anfall von Liebeskrankheit erlitten. Können ihn Kräuter und Tränke davon heilen? Ihr törichten Alten werdet noch am Tod meines Neffen schuld sein. Yu Yichi, der seit vielen Tagen krank war, lag mit geschlossenen Augen da und atmete kaum, als sei er schon dabei, in die Welt des Todes zu entgleiten. Der Besucher beugte sich über ihn, um ihn zu untersuchen. Seufzend erklärte er: Ein so junges und zartes Gesicht, das so erbleicht ist, verkündet, dass mein Neffe tief im Herzen erkrankt ist. Er zog drei rote Pillen aus der Tasche und schob sie dem Jungen in den Mund. Sofort verschwand die Blässe aus seinem Gesicht, und sein Atem ging wieder frei. Dann klatschte der Besucher dreimal in die Hände und rief: Du törichter Jüngling, der Jahrestag deines Versprechens, auf den du seit so langer Zeit gewartet hast, steht vor der Tür. Willst du zur ausgemachten Stunde nicht an Ort und Stelle sein? Yu schlug ein paar strahlend helle Augen auf und sprang aus dem Bett. Er schlug sich vor die Stirn und rief aus: Ohne dich, teurer Onkel, hätte ich meine Verabredung mit dem Mädchen verpasst. Du musst dich aufmachen, sagte der Besucher, du musst dich sofort auf den Weg machen. Er drehte sich um und verließ das Haus. Ohne sich Zeit zu nehmen, die Kleider zu wechseln, sich die Haare zu kämmen oder seine Schuhe anzuziehen, lief der Junge hinter seinem Onkel her. Seine Eltern riefen ihm unter Tränen etwas zu, aber er achtete nicht auf sie.
    Der Besucher erwartete Yu hoch zu Ross am Straßenrand. Mit seinen langen Armen griff er nach dem Knaben und hob ihn zu sich aufs Pferd, als sei er ein neugeschlüpftes Küken. Dann versetzte er dem Hengst einen Schlag mit der Reitgerte. Das Pferd wieherte einmal und raste davon wie der Wind. Yu saß auf dem Pferd und hielt sich mit beiden Händen an der Mähne fest. Der Wind pfiff in seinen Ohren. Mach die Augen auf, Neffe, hörte er seinen Onkel plötzlich sagen. Er tat es und sah, dass er in der Wüste Gobi war. Ringsum gab es nichts als trockenes, verdorrtes Gras, felsige Erde, und keine Menschenseele war zu sehen. Wortlos gab sein Onkel dem Pferd die Peitsche und galoppierte davon wie eine Rauchwolke, von der keine Spur bleibt.
    Allein gelassen saß Yu weinend auf dem felsigen Boden. Plötzlich spürte er, wie die Felsen sich bewegten, und hörte mehrere Donnerschläge. Goldene Lichtstrahlen drangen in seine Augen, und vor Schreck fiel er in Ohnmacht. Als er wieder erwachte, spürte er zarte Finger in seinem Gesicht und roch einen süßen Duft, der die Luft erfüllte. Er öffnete die Augen, und vor ihm stand das Mädchen. Tränen der Freude standen ihm in den Augen. Ich habe so lange auf dich gewartet, sagte das Mädchen … [Etwa 500 Schriftzeichen gestrichen] … Hand in Hand wanderten sie durch einen Garten voll von seltenen Bäumen und lieblichen Blumen. An einem besonderen Baum mit großen palmenförmigen Blättern wuchs eine Frucht, die genau aussah wie ein männlicher Säugling. Beim Mittagessen saß ein goldbraun leuchtender Knabe auf seinem Teller. Er wirkte so lebensecht, dass Yu nicht wagte, ihn

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