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Die Schnapsstadt

Die Schnapsstadt

Titel: Die Schnapsstadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Yan
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mit den Essstäbchen zu berühren. Wie kann ein großer Junge so feige sein?, sagte das Mädchen, griff zu den Stäbchen und machte sich an den Penis des Säuglings, der genau wie der Rest seines Körpers unter diesem Ansturm in Krümel zerfiel. Sie nahm ein Stück vom Arm des Kindes und schlang es schmatzend und kauend wie ein Wolf oder Tiger herunter. Yu fürchtete sich noch mehr als zuvor. Verächtlich lächelnd sagte das Mädchen: Dieser kleine Junge ist überhaupt kein Junge, sondern eine Frucht, die einem kleinen Jungen ähnelt, und dein Getue gefällt mir überhaupt nicht. Yu wollte ihr einen Gefallen tun und zwang sich, ein Ohr in den Mund zu stecken. Es schmolz auf seiner Zunge und überflutete seine Geschmackszellen mit unglaublich delikatem Aroma. Ermutigt stürzte er sich nun wie ein hungriger Wolf oder Tiger auf das Essen. Das Mädchen hielt sich kichernd die Hand vor den Mund. Sie sagte: Bevor du wusstest, wie es schmeckt, warst du so ängstlich wie ein Lamm, und jetzt bist du so gierig wie ein Wolf! Yu war zu sehr mit Essen beschäftigt, um ihr zu antworten. Das Gesicht von Fett und Sauce überströmt, bot er einen einmaligen Anblick. Das Mädchen kredenzte eine Flasche, deren Aroma die Luft mit dem Duft eines kostbaren Parfums erfüllte. Dieser Schnaps, sagte sie, wird aus Früchten gebrannt, die die Affen in den Bergen sammeln. Er gehört zu den kostbarsten Getränken der Welt …
     
    Mo Yan, verehrter Meister, wahrscheinlich reicht Ihnen diese Textprobe fürs Erste. Ich jedenfalls habe so viel abgeschrieben, wie es mir augenblicklich möglich ist. Ich möchte Sie nur darauf aufmerksam machen, dass kleine Kinder essen und Affenschnaps trinken, zwei Tätigkeiten, die in diesem abstrusen Text erwähnt werden, derzeit eine gewisse Rolle in der Kultur von Jiuguo spielen. Man könnte sie sogar als die beiden Schlüssel zum Geheimnis von Jiuguo bezeichnen. Der Verfasser der Denkwürdigkeiten der Schnapsstadt ist unbekannt, und der Text ist mir erst kürzlich in die Hände gefallen. Er zirkuliert seit ein paar Jahren in handschriftlichen Kopien, und ich habe gehört, dass die Abteilung für Öffentlichkeitsarbeit seine Beschlagnahme angeordnet hat. Deshalb kommt es mir wahrscheinlich vor, dass der Verfasser ein zeitgenössischer Autor sein muss, der hier in Jiuguo lebt. Und dann heißt der Held der Erzählung auch noch Yu Yichi! Ich habe den Verdacht, dass er auch der Autor ist.
     
    Herr Yu, sagte ich, Sie stürzen mich in die größte Verwirrung. Erst arbeiten Sie in einer Taverne, dann sind Sie ein schuppiger junger Krieger, der wie ein Schatten auftaucht und wieder verschwindet, und dann sind Sie der Clown in einer Gruppe von Schaustellern. Hier und jetzt sind Sie der angesehene Besitzer einer bekannten Taverne. Ihr Leben ist eine Mischung von Dichtung, Wahrheit und zahllosen Verwandlungen. Wie soll da irgendjemand Ihre Biographie schreiben?
    Er wollte sich halb totlachen. Wer hätte gedacht, dass aus dem Hühnerbrüstchen eines winzigen Zwergs so lautes Gelächter dringen könne? Er drückte auf die Telefontasten und ließ den kleinen Computer in dem Apparat laut schnurren. Dann warf er eine teure Porzellanteeschale aus Jingde an die Decke, sodass die Scherben der Schale und ihr Inhalt sich über den prächtigen und teuren Wollteppich verteilten. Er griff in eine Schublade und zog einen Stapel Farbfotos heraus, die er in der Luft schwenkte, bis sie wie ein Schwarm glänzender Schmetterlinge umherflatterten. Kennst du diese Frauen?, fragte er wichtigtuerisch. Ich hob die Fotos auf und studierte sie, meiner heuchlerisch verschämten Miene zum Trotz, mit gierigen Blicken. Jede einzelne Frau war eine Schönheit, sie waren alle nackt, und sie kamen mir alle bekannt vor. Er sagte, die Namen stünden auf der Rückseite. Ich entdeckte die Arbeitsbrigaden der Frauen, ihr Alter, ihre Namen und die Daten, an denen sie mit ihm geschlafen hatten. Sie stammten alle aus Jiuguo. Er stand kurz davor, sein ehrgeiziges Ziel zu erreichen.
    Also, Herr Doktorand der Alkoholkunde, diese Erfolgsgeschichte eines hässlichen kleinen Zwerges macht ihn doch wohl zum würdigen Helden einer Biographie. Oder was meinst du? Sorg dafür, dass dieser Schurke Mo Yan seinen Arsch hierher bewegt und sich an die Arbeit macht. Wenn es zu lange dauert, bringe ich mich noch um.
    Ich, Yu Yichi, Alter unbekannt, Körpergröße fünfundsiebzig Zentimeter, wurde in Armut geboren und wanderte von einem Ort zum anderen. Zu Ruhm gelangte ich in der

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