Die Schnapsstadt
übrigen Stangen abstützte. Jetzt bildeten die drei Bambusstangen einen recht unsicher wirkenden Hochsitz. Ihr jüngster Onkel betrat die schwankende Brücke und näherte sich der gewölbten Höhlendecke, an der ein Dutzend besonders große weiße Schwalbennester an einem pilzförmigen Stalaktiten hingen. Als die anderen Schwalben ihre Nester flohen, blieben diese Schwalben anscheinend unbekümmert da, wo sie waren. Vielleicht wussten sie, dass sie ihre Nester an einem vollkommen sicheren Ort gebaut hatten. Aus einem der Nester lugten die Köpfe von zwei munteren Schwalben hervor. Noch ein paar Vögel hingen kopfüber an der Unterseite des Stalaktiten. Mit schnellen Kopfbewegungen zogen sie schneeweiße kristallklare Fäden über den Fels, um ihre zarten, eleganten Nester zu bauen. Wahrscheinlich wussten sie nicht, dass die Hände und die Füße des jüngsten Onkels meiner Schwiegermutter sich wie die Saugnäpfe einer großen, gefährlichen Eidechse über den kalten, schlüpfrigen Felsen bewegten und ihnen immer näher kamen. Meine Schwiegermutter sagte, die Schwalben hätten sich mit den nach vorn gebogenen Klauen an den Felsen geklammert, während sie unter Mühen und Plagen ihre Nester bauten. Die kurzen Schnäbel glichen flinken Weberschiffchen, die sich schnell über die gewölbte Fläche hin und her bewegten. Wenn sie die glänzenden Fäden eine Zeit lang gezogen hatten, spannten sie ihre Körper an, schlugen mit den Flügeln, richteten die Schwanzfedern auf und pressten noch ein wenig von dem kostbaren Speichel aus dem Hals, den sie dann wieder mit dem Schnabel zu langen Fäden zogen. In Sekundenschnelle kristallisierten die Fäden und wurden durchsichtig und weiß wie Jade. Meine Schwiegermutter sagte, der Nestbau sei ein Naturschauspiel, das keinem anderen gleiche, aber die Funktionäre und Kader könnten den wahren Wert eines Schwalbennests nicht ermessen, weil sie die Mühen nicht kennten, denen sich die Vögel unterzogen. Und genauso wenig kennten sie die Mühen der Schwalbennestsammler.
Der jüngste Onkel meiner Schwiegermutter hing mit dem Kopf nach unten an einem Auswuchs des pilzförmigen Stalaktiten. Sie konnte nicht verstehen, wie er es schaffte, sich nur mit den Füßen an einer gerillten Oberfläche festzuhalten, die so glatt und schlüpfrig war. Die Fackel hing zur Seite, die Flamme brannte hell über seinem Kopf. Auch der Beutel an seinem Gürtel hing nach unten wie zwei zerrissene Fahnen, die schlapp im Regen flatterten. Offensichtlich konnte er den Mund nicht öffnen, um etwas zu sagen, aber in seiner Situation konnte er auch die Nester nicht in den Beutel schieben. Meine Schwiegermutter sagte, ihr Vater, der schon von der Wand herabgeglitten war, habe jetzt die Fackel gehalten und zu seinem jüngsten Bruder hinaufgesehen, dessen Leben an einem Seidenfaden mit dem Kopf nach unten an der Höhlendecke hing. Er war bereit, die Nester aufzuheben, sobald sie auf den Boden fielen.
Meine Schwiegermutter sagte, sie habe seitdem nie wieder so große Schwalbennester gesehen, nicht ein einziges Mal. Es waren alte Nester. Sie sagte, Schwalben bauten ihre Nester instinktiv über alten Nestern. Solange die Nester nicht beschädigt werden, können die Vögel ein Neues von der Größe eines Strohhuts bauen. Und natürlich bestehen die unbeschädigten Nester aus reinem Speichel ohne jede Beimischung: Nester der Spitzenqualität.
Er streckte die Hand aus, in der er ein scharfes, dreifach geschliffenes Rasiermesser hielt. Sein Körper war erschreckend in die Länge gezogen und glich einer Schlange. Meine Schwiegermutter sagte, sie habe glänzende Schweißtropfen von seinen Haarspitzen herabtropfen gesehen. Fast berührte das Messer den Rand des Riesennests. Jetzt war es so weit, es berührte ihn! Sein Körper streckte sich noch länger, sein Messer sägte am Boden des Nests, seine Hand zog das Messer hin und her, und der Schweiß lief ihm über den Kopf. Die Schwalben flogen aus dem Nest. Mit ungewöhnlichem Mut schleuderten sie sich immer wieder gegen sein Gesicht und fürchteten nicht um ihr Leben. Meine Schwiegermutter sagte, das Nest sei fest im Felsen verankert gewesen. Es war ein altes Nest und schien aus dem Felsen selbst herauszuwachsen. Das machte ihrem jüngsten Onkel die Arbeit besonders schwer. Ohne sich um die wütenden Schwalben zu kümmern, die sich gegen sein Gesicht schleuderten, behielt er einen kühlen Kopf und eine feste Hand, biss die Zähne zusammen, schloss die Augen und harrte eisern
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