Die Schnapsstadt
steckten sie in die abgeschlagenen Hühnerköpfe. Eine zweite Gruppe von genauso bezaubernden Frauen, die genauso gekleidet waren wie die erste Gruppe, vergruben die reisgefüllten Hühnerköpfe in feuerroten Blumentöpfen. Es folgte ein Schnitt: In den Blumentöpfen standen jetzt Reissprossen. Dutzende von Sprühköpfen bewässerten die zarten Reispflänzchen. Noch ein Schnitt: Jetzt trugen die Sprossen quastenförmige Ähren. Die letzte Szene zeigte, auf einer blumenbedeckten Festtafel angeordnet, Schalen voll dampfender, blutroter, glänzender, feuchter Reiskörner. Eine Reihe von Funktionären und Kadern – einige sehen gut aus, einige sind eher kräftig gebaut, einige schlank und groß – sitzt am Tisch und kostet mit zufriedenem Lächeln von dieser seltenen Delikatesse. Seufzend machte sich Ding Gou'er klar, wie ärmlich sein Wissensvorrat war. Darin glich er dem sprichwörtlichen Frosch auf dem tiefsten Boden des Brunnens. Der Mann und die Frau in dem Zimmer fingen, noch bevor das Video zu Ende war, an, sich zu unterhalten. Ding Gou'er, der nicht auffallen wollte, nahm seinen Eimer wieder auf und ging weiter. Als er wenig später durch das Tor ging, sah ihn der Pförtner mit vernichtendem Blick an. Er konnte förmlich spüren, wie die Blicke des Mannes sich in seinen Rücken bohrten. Er bahnte sich seinen Weg durch das Maisfeld. Trockene Blätter streiften seine Augen. Ihm kamen die Tränen. Der alte Grillenfänger war verschwunden. Er war noch lange nicht am Lastwagen angekommen, als er die Fahrerin schon rufen hörte:
«Wo hast du, verdammt nochmal, nach Wasser gesucht? Am Gelben Fluss oder am Jangtse ?»
Er setzte den Wassereimer ab und reckte seine armen müden Glieder.
«Ich hab es am verdammt beschissenen Yalu geholt.»
«Verdammt nochmal! Ich hab schon geglaubt, du seist in den Fluss gefallen und ertrunken.»
«Ich bin nicht ertrunken. Ich habe ein verdammt beschissenes Video angeschaut.»
«Einen von diesen verdammten Kung-Fu-Filmen oder einen Porno?»
«Nein, keinen verdammt beschissenen Kung-Fu-Film und auch keinen Porno. Es war ein Film über eine einmalige Köstlichkeit: Hühnerkopfreis.»
«Was ist so einmalig an Hühnerkopfreis? Und was soll dein blödes ständiges ‹verdammt› und ‹beschissen›?»
«Ohne dieses verdammt Beschissene und jenes verdammt Beschissene wüsste ich nicht, wie ich dir dein verdammt beschissenes Maul stopfen sollte.»
Ding Gou'er packte die Lastwagenfahrerin an der Taille, schlang die Arme um sie und presste seinen Mund hart auf den ihren.
II
Verehrter Meister Mo Yan!
Ihr Brief ist wohlbehalten angekommen. Von der Volksliteratur immer noch kein Wort. Ich fange an, nervös zu werden, und wäre dankbar, wenn Sie den Herausgebern Zhou Bao und Li Xiaobao noch einmal einen kleinen Stoß geben und sie bitten könnten, sich mit mir in Verbindung zu setzen. Gestern Abend habe ich eine neue Erzählung geschrieben, der ich den Titel Eselsgasse gegeben habe. Für diese Erzählung habe ich in kreativer Weiterbildung auf Vorlagen aus dem Gebiet der volkstümlichen Heldenliteratur zurückgegriffen. Ich bitte Sie, die Erzählung mit Ihrem üblichen aufmerksamen Blick zu lesen. Sie dürfen Sie gerne an jede Zeitung weitergeben, die Ihnen geeignet erscheint.
Ich schicke Ihnen die erbetenen Forschungsmaterialien über die Alkoholdestillation. Die dreißig Flaschen hervorragenden Schnaps werde ich mit dem nächsten Bus nach Peking abschicken. Dass der Meister den Schnaps seines Schülers trinkt, steht in Übereinstimmung mit den Gesetzen von Himmel und Erde. Sie werden sich erinnern, dass Konfuzius von jedem Schüler, den er unterwies, zehn Stück Trockenfleisch als Lehrgeld verlangte.
Das beharrliche Schweigen der Volksliteratur verdüstert mein Gemüt, als sei meine Seele auf Urlaub. Sie, der Sie früher einmal die gleichen Erfahrungen gemacht haben, werden meine Gefühle verstehen.
Respektvoll wünscht Ihnen
Frohes Schaffen
Ihr Schüler
Li Yidou
III
Yidou, mein Bruder!
Ich habe deinen Brief und das Manuskript erhalten. Das Forschungsmaterial ist noch nicht angekommen, aber Drucksachen brauchen immer etwas länger.
In der Tat weiß ich, wie du dich fühlst, denn ich habe das alles früher selbst durchgemacht. Ehrlich gesagt, ich habe damals so ziemlich alles getan oder vorgehabt zu tun, was mir einfiel, um eines meiner Manuskripte gedruckt zu sehen. Nachdem ich deinen Brief bekam, habe ich sofort Zhou Bao angerufen. Er hat mir gesagt, er
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