Die Schnelligkeit der Schnecke
nun nicht gerade. Ich habe dir deine unmittelbare Zukunft etwas ruhiger gestaltet.«
»Wirklich, ich ... weiß gar nicht, wie ich dir danken soll.«
Die Freundin ergriff das Wort.
»Ich weiß, wie.«
Einen Augenblick lang stellte sich Massimo das Mädchen mit den großen Augen und ihre Freundin nur mit Schlagsahne bekleidet vor, wie sie ihn vom großen Bett in seiner Wohnung aus zu sich riefen. Doch ihrem Tonfall nach zu urteilen, hatten sie und Massimo nicht dasselbe gedacht. Die Freundin sah sich in der Bar um und fuhr fort: »Ist doch ganz nett hier. Besonders draußen. Wir könnten hier eine kleine Party organisieren, nach dem geselligen Abendessen am Donnerstag. Irgendwas ganz Eindeutiges«, sagte die Freundin augenzwinkernd, »sodass jeder, der Lust hat, auch kommen kann, obwohl eigentlich klar ist, dass in so eine Bar und noch dazu nach dem Essen nur jüngere Leute gehen. Also kommen wir hierher, knüpfen Kontakte, wie es dem Boss gefällt, und gleichzeitig werden wir die ganzen verkalkten Alten los. Ich weiß nicht, wie’s dir geht, aber mich nerven diese alten Knacker, die den ganzen Tag am Tisch sitzen und dumm daherreden, schon seit einer Weile.«
Da sind wir schon zu zweit, dachte Massimo mit einem Blick nach draußen auf seine unfreiwillig angelegte Sammlung lebender Antiquitäten.
»So ähnlich ...«, sagte das Mädchen mit den großen Augen.
»Sieh mal, wir machen das so: Wir erzählen’s dem Boss heute Abend, beim Get-together«, sagte die andere entschlossen, »und dann kommen wir morgen direkt hierher, um dir Bescheid zu sagen«, setzte sie an Massimo gewandt hinzu.
»In Ordnung«, antwortete Massimo. »Wenn ihr das früher entscheidet, könnt ihr es mir auch heute Abend sagen. Ich bin ja sowieso bei euch.«
»Wie meinst du das?«
»Eben hast du gesagt, dass heute Abend das Get-together stattfindet, und deine Freundin meinte, dass sie übermorgen eine Präsentation halten muss. Also bedeutet das, dass ihr von einem Kongress redet. Soweit ich weiß, ist der einzige Kongress in der näheren Umgebung der«, er griff zu einer Broschüre hinter dem Tresen, »›XII. International Workshop on Macromolecular and Biomacromolecular Chemistry‹ – meine Güte, was für eine Verschwendung von Großbuchstaben –, der vom 21. bis 26. Mai in Pineta im Hotel Santa Bona stattfinden wird.«
»Ja, klar. Aber wie kommt es, dass du diese Broschüre hast?«
»Weil auch Kongressteilnehmer essen müssen und man in solchen Fällen auf einen Catering-Service zurückgreift. Und in in diesem konkreten Fall mache ich das Catering.«
»Du und Aldo«, ergänzte Tiziana.
»Ja, schon gut. Ich und Aldo, das ist der Herr da draußen mit den weißen Haaren, der gerade den Herrn mit der Baskenmütze beleidigt, wir beide sind verantwortlich für das Catering. Weshalb ich, wenn nichts dazwischenkommt, heute Abend ebenfalls beim Kongress sein müsste.«
Zwei
Ein Tag, an dem ein Unglück geschehen wird, fängt zunächst an wie alle anderen. Solange nichts passiert, ist es ein ganz gewöhnlicher Tag.
Auch der erste Tag des XII. International Workshop et cetera, et cetera bildete da keine Ausnahme: Wie jeder beliebige Kongress, auf dem niemand umgebracht wurde, fing er mit einem besonders geschätzten Redner an, der einen Vortrag hielt, der die Arbeit eines ganzen Lebens zusammenfasste. Danach ging es mit dem ersten Seminarblock los, der von neun bis elf dauerte, wonach (wie im Programm vorgesehen) der erste »Coffeebreak« stattfand. Ab halb zwölf nahm man die Seminare wieder auf, bis zum Mittagessen, für das üblicherweise ein bis zwei Stunden Zeit zur Verfügung standen. Schließlich wurde der Kongress am Nachmittag von drei bis halb fünf fortgesetzt, bis zum zweiten Coffeebreak, an den sich ein letzter Block aus Vorträgen anschloss, an dessen Ende leider überhaupt nichts vorgesehen war.
Der Coffeebreak war fundamental, um die von zwei Stunden angestrengten Zuhörens auf einem Armstuhl in einem halbdunklen Raum zermürbten Kongressteilnehmer zu stärken. Üblicherweise ließ der überwiegende Teil der Gelehrten unter solchen Umständen jeglichen Anschein von Zurückhaltung fahren: Sie stürzten sich auf die Tabletts, beluden ihre Pappteller mit schwankenden Pyramiden aus Grissini und Törtchen und hörten, während sie ihre Beute verschlangen, irgendeinem zufällig neben ihnen stehenden Kollegen zu, der mit vollem Mund sprach, während sie eifrig kauten.
Massimo und Aldo, die ihren jeweiligen
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