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Die Schnelligkeit der Schnecke

Die Schnelligkeit der Schnecke

Titel: Die Schnelligkeit der Schnecke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marco Malvaldi
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versammelten Kollegium der Gelehrten hinüber.
    »Gut, für heute Morgen habe ich genug gehört, glaube ich. Könnt ihr mir sagen, ob es hier in der Nähe irgendwelche freien Strände gibt?«
    »Hier in der Nähe nicht. Es gibt Badeanstalten am Strand. Man kann einen Sonnenschirm oder eine Umkleidekabine mieten und hat dann Zugang zum Meer«, erklärte Aldo, während er einer dünnen jungen Frau einen Fruchtsaft einschenkte. Sie sah aus, als käme sie gerade von der Beerdigung ihrer Katze, und ihr Schildchen wies sie als Maria de Jesus Siqueira, Universidade de Coimbra, Portugal, aus.
    »Und was kostet es, einen Sonnenschirm zu mieten?«, fragte Snijders. Sein Tonfall machte klar, dass die Mietkosten darüber entscheiden könnten, ob ihm der ganze Küstenstreifen gefiel oder nicht.
    »Na, das kommt darauf an. Zwischen fünf und zehn Euro pro Tag. Nicht viel also«, antwortete Aldo trocken, nachdem er Snijders von oben bis unten gemustert hatte, als frage er sich, ob ein solcher Typ überhaupt jemals schon zehn Euro auf einmal gesehen hatte.
    »Hmm. Das ist teuer, indeed. Gut, ich kann ja auch weiter auf dem Kongress bleiben ...«, sagte er mit einem etwas gequälten Lächeln. Die Portugiesin, die die ganze Zeit stocksteif mit dem vollen Glas in der Hand stehen geblieben war und wahrscheinlich kein Wort verstanden hatte, versuchte es mit dem Entwurf eines Lächelns, das sie aber sofort wieder verbarg, indem sie es im Fruchtsaft versenkte.
    »Falls es Sie interessiert«, griff Massimo ein, »das Hotel hat ein Schwimmbad. Es ist da drüben hinter der Oleanderhecke. Und für Hotelgäste reserviert.«
    Ich bin Hotelgast, sagte das Licht, das in Snijders Augen aufleuchtete.
    Im Dunkel des Konferenzsaales saß Koichi Kawaguchi und litt entsetzlich.
    In erster Linie litt er wegen der Vorträge. Alle für den heutigen Tag vorgesehenen Vorträge wurden von experimentellen Chemikern gehalten, und er war weder Chemiker noch experimentell. Koichi Kawaguchi war ein Informatiker, der zusammen mit anderen Forschern seiner Fakultät ein Programm zur Berechnung der mechanischen Eigenschaften von Polymerverbindungen entwickelt hatte. Da dieses Programm prinzipiell von allen benutzt – und begehrt – werden konnte, die auf dem Gebiet der Makromoleküle forschten, hatte seine Fakultät einen Vertreter zu jedem Kongress geschickt, dessen Thema auch nur im Entferntesten mit Polymeren zu tun hatte, um das Programm zu präsentieren und ein bisschen Werbung dafür zu machen. Einschließlich dieses Kongresses, bei dem sich alles um die Herstellung und Beschreibung von funktionalisierten und biofunktionalisierten Polymeren drehte. Besser gesagt, um Zeug, für das Koichi nicht das geringste Interesse aufbringen konnte und das von Menschen erforscht wurde, die sich wahrscheinlich überhaupt nicht für sein Programm interessierten.
    Folglich erwartete Koichi ein Kongress, auf dem er die mündlichen Präsentationen absaß (daran, die Vorträge zu schwänzen, war nicht zu denken) und sich Referate anhörte, von denen er kein Wort verstand und die ihn sowieso kein bisschen interessierten.
    Doch das konnte Koichi ertragen.
    Des Weiteren erwartete man von Koichi, dass er die gesamte Postersession vor seinem Poster verbrachte, in Anzug und Krawatte, wie es die japanischen guten Sitten all jenen auftrugen, die eine Arbeit mittels eines Posters oder eines Vortrags vorstellten. Ein Poster, vor dem wahrscheinlich niemand anhielt, was Koichi dazu verdonnern würde, sich stundenlang demütig und regungslos vor seiner Schautafel die Füße platt zu stehen.
    Aber auch das konnte Koichi ertragen.
    All dies würde sich im Konferenzsaal des Hotels Santa Bona abspielen, dessen harte Kunststoffstühle sich auf wunderbare Weise mit der launischen Klimaanlage verschworen hatten, um die Kongressteilnehmer zu piesacken, welche während der zehn Minuten, in denen die Klimaanlage Urlaub machte, schwitzten wie Marathonläufer und während der folgenden zehn Minuten (in denen die Anlage, wahrscheinlich aus schlechtem Gewissen, versuchte, etwas wiedergutzumachen, und kräftig eiskalte Luft ausstieß) wählen konnten, ob sie sich lieber eine Lungenentzündung oder einen steifen Nacken holen wollten.
    Aber sogar das hätte Koichi ertragen können.
    Was er wirklich nicht ertragen konnte, hing mit der Tatsache zusammen, dass der Konferenzsaal eine Glasfront hatte. Und durch diese Glasfront blickte man auf eine Oleanderhecke. Hinter dieser Oleanderhecke hatte Koichi vor ein

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