Die Schockwelle: Thriller (German Edition)
ihren Russlandexperten ebenfalls ihre Nase in die Angelegenheit stecken, weshalb wir rechtzeitig das Revier in den Griff bekommen müssen.«
Jalavas Handy klingelte. »Der Polizeipräsident«, stellte er beim Blick auf das Display fest. »Das wird ein Riesending.«
Der Elektriker Didier Khouar steckte den Tastkopf des Testgeräts in den Anschluss. Er lag auf dem Rücken unter dem Steuerpult in der Schaltzentrale des Atomkraftwerks Olkiluoto 3.
»Two-four-two point seven-five« , sagte er zu seinem litauischen Kollegen, der die Daten in seinen stoßsicheren Laptop eingab.
Didiers Muttersprache war Französisch, und keiner der beiden Männer sprach besonders gut Englisch, aber bei Zahlen hatten sie keine Verständigungsprobleme. Deshalb befolgten sie auch schon lange nicht mehr die Regel, wonach derjenige, der die Werte einspeicherte, die Zahlen laut wiederholen sollte. Der vorgesehene Zeitrahmen für die Testphase war inzwischen so knapp bemessen, dass jede Sekunde zählte. Die Einweihung sollte in wenigen Tagen stattfinden und nach all den vielen Verzögerungen um keinen Tag mehr verschoben werden, so hieß es. Daher wurde jetzt rund um die Uhr in drei Schichten gearbeitet.
Didier ging alle Anschlüsse durch und las monoton die Ziffernfolgen ab, bis der portugiesische Vorarbeiter kam und sie zu einem neuen Einsatzort scheuchte.
Mit widersprüchlichen Gefühlen kalibrierte Didier seinen Tester. Ihm kam der Traum von letzter Nacht in den Sinn. Ausder Mitte eines roten Sandsturms tauchten zwei Gestalten auf: ein Mann und ein beladenes Kamel. Der Mann trat vor ihn hin, und Didier erkannte das Gesicht seines Vaters.
Was hatte dieser Traum zu bedeuten? Hoffentlich nicht das Schlimmste.
»Konzentrier dich, Didier!«, herrschte jemand hinter ihm.
Ein weiterer Kollege war aufgetaucht, der Pole Henryk.
»Was hast du heute Abend vor?«, fragte Didier. »Wieder zu Saara?«
»Was denn sonst.«
»In letzter Zeit sind wir wenig zum Spielen gekommen.«
Die Männer gehörten demselben multinationalen Elektrikerteam an und wohnten alle in einer Baracke. Abend für Abend hatten sie alle zusammen Karten gespielt, bis Henryk eine finnische Freundin fand. Seitdem hatten sie ihn abends kaum noch in der Baracke zu Gesicht bekommen. Trotzdem hatten die Männer ein enges Verhältnis und vertrauten einander. Henryk erzählte zum Teil sehr persönliche Dinge über sich und Saara. Didier hörte meist nur zu.
»Ich komme jeden Abend zum Spielen«, erwiderte Henryk und zwinkerte.
»Ist sie bereit, mit dir nach Polen zu gehen?«
Henryk verzog den Mund. »Finninnen sind anspruchsvoll. Sie findet Gdynia deprimierend.«
»So sind die Frauen. Geben sich nicht leicht zufrieden.«
»Vielleicht findest du auch eine, wenn du nach Frankreich zurückkehrst.«
»Vielleicht«, sagte Didier, bemüht, nicht verkrampft zu klingen.
Unzählige Male hatte Henryk versucht, ihn nach Rauma mitzunehmen, damit er in den Lokalen der Stadt einheimische Frauen kennenlernte. Henryk war sicher, dass der exotische schwarze Franzose gute Chancen hätte, aber Didier hatte stets abgelehnt.
Er hatte eine wichtigere Aufgabe zu erledigen. Frauen stellten dabei ein zu großes Risiko dar.
Didier hatte nicht einmal Henryk anvertraut, dass Frankreich nicht seine eigentliche Heimat war, obwohl er Französisch sprach. Manchmal war es schwer, seine wahre Herkunft immer geheim zu halten, aber es ging nicht anders. Daher verbrachte er seine Freizeit am liebsten mit Leuten, die keine Franzosen waren. Bei fünftausend Arbeitskräften, die aus ganz Europa an die finnische Westküste gekommen waren, bestand reichlich Auswahl. Allerdings waren die Bauleute mittlerweile weg, und ihre Baracken wurden abgebaut. Didier und Henryk gehörten zu den Mitarbeitern für die abschließende Testphase.
Nach dem Ende seiner Schicht fuhr Henryk nach Eurajoki, wo Saara wohnte. Didier spazierte an den Rand des Barackenareals und holte sein Handy aus der Tasche. Die warme Spätsommerbrise, die vom dunklen Meer herwehte, umspielte ihn angenehm.
Der Anruf kam auf die Sekunde genau, wie immer.
Der Deutsche gab Anweisungen. Sie waren sehr einfach. Didier hörte ruhig zu, es würde kein Problem sein, sie zu befolgen.
Nach wenigen Minuten steckte er das Handy wieder ein. Vor ihm ragte hell erleuchtet der neue Gebäudekomplex auf. Beton, Stahl, Spitzentechnologie. Besonders beeindruckte Didier die enorme Sorgfalt, die man an den Tag legte, um die künftigen Mitarbeiter der Anlage vor den
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