Die Schockwelle: Thriller (German Edition)
stehen. Das ist ganz merkwürdig.«
Siekkinen richtete den Blick auf das mit Signallämpchen ausgestattete Schema, das den Reaktordruckbehälter darstellte. In diesem Behälter produzierte eine kontrollierte Fissionsreaktion mithilfe von Uran Wärme, die im Kühlkreislauf zu Turbinen geleitet und zunächst in mechanische und dann durch einen Generator in elektrische Energie umgewandelt wurde und als solche ins staatliche Stromnetz eingespeist werden konnte.
Ein zweites Schema stand für die riesigen schwarzen Verdampfer und den Druckhalter. Den Geräten zufolge war dort alles in Ordnung. Aber einige Messarmaturen zeigten eine ernsthafte Betriebsstörung an, weshalb die Schnellabschaltungund andere Sicherheitsvorrichtungen aktiviert worden waren.
Siekkinen überflog den Fehlerbericht, den er in der Hand hielt. Der Druck im Kühlbereich des Reaktors schien ständig zuzunehmen.
»Wie sieht es mit den Sicherheitsventilen im Primärbereich aus?«
»Von den Schutzsystemen kommen ständig widersprüchliche Informationen. Laut digitalem System klemmen zwei Ventile.«
»Das Notkühlsystem?«
»Ist aktiviert, aber digital wird uns mitgeteilt, dass auch dort Störungen vorliegen.«
»Wir gehen zur manuellen Steuerung des Notkühlsystems über.«
»Wir verlieren Speisewasser«, sagte ein Mitarbeiter und deutete auf eine Anzeige.
»Was?«, rief Siekkinen bestürzt. Falls der Anzeige zu glauben war, gelang es dem Speisewassersystem nicht mehr, Wasser in die Verdampfer einzuspeisen.
»Könnte ein Schaden an der Wärmetransportleitung vorliegen?«
»Das ist möglich. Jedenfalls sinken die Durchflusswerte.«
»Ersatzsystem?«
»Dort scheint es eine Betriebsstörung zu geben.«
»Das ist doch nicht möglich!«
Siekkinen schüttelte den Kopf. Nichts dergleichen war ihm je begegnet. Es sah aus, als wäre das Kraftwerk von einem Allgemeindefekt betroffen, der sich von einem System zum anderen ausbreitete.
»Sieh dir die Werte von den Hochdruckkühlern an!«
Siekkinen starrte auf die ständig kletternden digitalen Zahlen.
»Der Druck steigt zu schnell an«, sagte der Schichtleiter todernst. »Absolut zu schnell, verdammt.«
Siekkinen spürte, wie Panik in ihm aufkam. Er kannte so etwas nicht, er hatte immer alles im Griff gehabt – und genau deshalb hatte man ihn zum Betriebsleiter der neuen Reaktoreinheit gemacht.
»Das ist unfassbar. Die Störung kann nur im Automationssystem liegen …«
»Vielleicht, aber haben wir Zeit, das herauszufinden?«, fragte Norha, der inzwischen noch blasser geworden war. Auch alle anderen in der Schaltzentrale standen wie erstarrt da und sahen Siekkinen an, der die Strahlenschutzbehörde in Helsinki anrief und kurz über die Lage berichtete.
Die Handlungsanweisung entsprach dem Schluss, zu dem Siekkinen selbst gelangt war: Sie mussten die schwierigste, aber einzig mögliche Maßnahme ergreifen. Man durfte kein Risiko eingehen, auch wenn sich die Vorsichtsmaßnahme sicherlich als unnötig erweisen würde.
»Wir beginnen mit der Evakuierung des Kraftwerks«, sagte er und empfand großen Schmerz, als er die Worte laut aussprach, die er nicht einmal in seinen schlimmsten Albträumen in den Mund genommen hatte.
60
Peter Richter stand im ersten Stock des im funktionalistischen Stil erbauten Hotels Raumanlinna am Fenster und blickte auf das menschenleere Stadtzentrum. Die eifrige Person an der Rezeption hatte von dem nahe gelegenen Holzhausviertel erzählt, das auf der Liste des UNESCO-Weltkulturerbes stand. Richters Gedanken waren jedoch auf ein etwas weiter nördlich gelegenes Objekt gerichtet.
Anton lag schweigend auf dem Bett. Der schwarze Aktenkoffer aus Kunstleder war griffbereit auf dem Tisch platziert.
Das Warten zehrte an den Nerven. Gerade eben war Anton von einer erneuten Zigarettenpause zurückgekehrt.
Der Fernseher, der an einer Wandhalterung befestigt war, zeigte die Videotext-Nachrichten, die waren angeblich die schnellsten. Über Probleme in Olkiluoto 3 wurde noch nicht berichtet.
Und wenn die von Rainer Bauer beschafften Informationen fehlerhaft waren? Bei den Frequenzbereichen oder bei etwas anderem Wesentlichen? Kaum denkbar.
Was Richter hingegen tatsächlich Sorgen bereitete, war die Tatsache, dass jemand über seine Kooperation mit Bauer Bescheid wusste. Bauer hatte sehr nervös aus Berlin angerufen und berichtet, ein Unbekannter sei während des Mittagessens bei ihm aufgetaucht und habe nach Richter gefragt. Daraufhin hatte Feliks nichts riskieren wollen,
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