Die Schockwelle: Thriller (German Edition)
ihn nach Helsinki gefahren hatte.
Feliks` Blick durch das Wagenfenster fiel auf eine vertraute Umgebung. Wenige Häuserblocks weiter befand sich die russische Botschaft und nicht weit davon entfernt die amerikanische. Ihm kamen seine Anfangsjahre in Helsinki in den Sinn, Anfang der Achtzigerjahre, als die ersten Samen für die Operation Meteor ausgelegt worden waren.
Damals ging es um ein festes Ziel des Kreml: Es reichte nicht aus, lediglich Informationen über die NATO zu sammeln. Das zentrale Ziel hieß: handeln. Das westliche Militärbündnis schwächen. Am effektivsten ging das, indem man aktiv die Beziehungen zwischen den USA und ihren Verbündeten in Europa störte. Die Stationierung amerikanischer Atomwaffen in Europa, vor allem in der Bundesrepublik Deutschland, bot dafür eine günstige Gelegenheit, da auch ganz normale Bürger dagegen demonstrierten.
Und jetzt, während der letzten Monate, war Feliks gezwungen gewesen, mit seinem ehemaligen Kollegen und jetzigen Chef Kirill Rischnikow in die damalige Zeit zurückzukehren. Und wieder war er in Helsinki gelandet. Obgleich dies allein schon überraschend genug war, wurde es von der aktuellen Lage noch überboten: Niemals hätte Feliks geglaubt, dass er einmal Schokolade und Bonbons für einen sechsjährigen finnischen Jungen kaufen würde, um diesen auf der Rückbank eines Range Rovers ruhigzustellen.
»Ich hab Durst«, sagte der Junge.
Feliks seufzte und sah Juri wütend an. »Hast du nicht genug von dieser Limonade gekauft, Herrgott noch mal?!«
Ingenieur Kari Siekkinen bog in die Zufahrt zum Kraftwerksgelände ein, nachdem er die ganze Strecke mit überhöhter Geschwindigkeit gefahren war. Im Radio kamen die Lokalnachrichten.
An der Landstraße 12 in der Nähe von Köyliö wurden in einem Wohnwagen zwei Tote entdeckt. Als Todesursache werden defekte Flüssiggasvorrichtungen vermutet. Bei den Opfern handelt es sich um einen polnischen Elektriker, der in Olkiluoto gearbeitet hat, und um dessen finnische Freundin.
Siekkinen hielt vor dem Eingangsgebäude an. Die Nachricht vom Unfalltod des polnischen Kraftwerksmitarbeiters drang nur an der Oberfläche in sein Bewusstsein. Es war eine tragische Neuigkeit, aber im Moment war er gerade auf zwei wesentlich ernstere Dinge fokussiert. Zum Glück hatte er seine Frau erreicht. Sie war jetzt auf dem Weg zur Klinik, um bei Paavo zu sein.
Siekkinen warf die Wagentür ins Schloss und rannte auf das Gebäude zu. Er hielt die Magnetkarte auf das Lesegerät, passierte das ernste Gesicht des Pförtners und eilte die Treppe hinauf. Er sah bereits die Schlagzeilen von morgen vor sich. Rächten sich die Probleme, die während der Bauphase in der Qualitätskontrolle aufgetaucht waren, am Ende doch auf fürchterliche Weise? Wäre irgendjemand bereit, einen Jumbojet zu besteigen, wenn er von Arbeitern, die nicht ausgebildet waren und die Sprache nicht beherrschten, für zwei Euro Stundenlohn gebaut worden wäre, so wie es in Olkiluoto der Fall gewesen war?
Jetzt hieß es, die Ruhe zu bewahren, bestimmt lag nur ein Messfehler vor, auf den die Systeme sensibel reagiert hatten. Außer den beiden voneinander unabhängigen digitalen Systemen gab es in der Anlage noch ein fest verdrahtetes Sicherheitssystem, mit dem man im Prinzip den Reaktor abschalten unddie Kühlsysteme steuern konnte. Siekkinen wunderte sich über die Kaltblütigkeit der Franzosen, denn in ihrem eigenen EPR-Kraftwerk, das sie in Flamanville bauten, sollte es überhaupt kein analoges Sicherheitssystem mehr geben. Die Briten hingegen bestanden für ihr EPR-Werk darauf, die Amerikaner ebenfalls.
Was Siekkinen ärgerte, war, dass die Amerikaner daran gedacht hatten, für das US-Lizenzmodell noch weitere Sicherheitseigenschaften einzufordern, die in Olkiluoto komplett fehlten. Mit welcher Begründung sollten die Finnen mit größeren Risiken leben müssen?
Siekkinen passierte die Sicherheitstüren in der Schaltzentrale. Die Atmosphäre in dem klinisch-sterilen Raum mit den dicken fensterlosen Wänden war angespannt. Die Mitarbeiter vor den Bildschirmen, Messarmaturen und Signallampen beobachteten intensiv den Zustand des Kernreaktors, der Turbinen und der sonstigen Kraftwerksprozesse.
»Norha, wie ist die Lage?«
Schichtleiter Pasi Norha, der einen langen weißen Kittel trug, wirkte irritiert. »Ich verstehe das nicht. Laut Fehlerbericht steigt der Druck im Reaktor an. Ebenso im Verdampfer. Die Messgeräte zeigen Werte an, die miteinander im Widerspruch
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