Die Schockwelle: Thriller (German Edition)
die Schuhe an. Auch Sebastian sagte nichts mehr. Dann gingen sie zusammen auf die Straße hinunter.
»Mein Wagen steht einen Block weiter«, erklärte Sebastian. »Ich fahre nach Westen. Nach Mitte nimmst du besser die S-Bahn.«
»Das hatte ich auch vor. Wann kommst du zurück?«
»Gegen Mittag.«
Sobald Sebastian den Weg zu seinem Auto einschlug, rannte Elina zum Savignyplatz los. Dort standen drei Taxis am Stand. Der erste Fahrer war zum Glück ein junger Türke, der einen flinken, tüchtigen Eindruck machte. Elina gab ihm klare Anweisungen.
Das Fernglas erfasste den alten Toyota Corolla von Henryk Dombrowski vor der Zufahrt zum Kraftwerksgelände Olkiluoto. Der Sicherheitsmann nahm aus dem Seitenfenster des Fahrzeugs etwas entgegen, sah es sich eine Weile an und gab es dann zurück.
Der Toyota fuhr los, dem riesigen Gebäudekomplex entgegen, an dessen Rand der neue Reaktorblock aufragte.
»Er ist drin«, stellte der ehemalige KGB-Agent Anton fest und setzte das Fernglas ab.
»Gut«, erwiderte Peter Richter erleichtert vom Beifahrersitz des Lieferwagens.
Er hatte einen Laptop auf dem Schoß, dessen Bildschirm einen Plan des Reaktorgeländes zeigte. Auf der Höhe der Zufahrt blinkte ein Kreuzchen. Mithilfe des Peilsenders konnten sie verfolgen, ob der Pole die Komponenten an die richtige Stelle brachte.
30
Riku zahlte seine wenigen Einkäufe im Baumarkt in der Divenskaja Ulitsa und sah sich intuitiv nach allen Seiten um. Die Lage war schlimmer als befürchtet. Er hätte unbedingt eine Schusswaffe gebraucht, aber es war schlicht und einfach zu riskant, sich auf dem Schwarzmarkt in Sankt Petersburg eine zu besorgen.
Er verließ das Geschäft und behielt weiterhin die Umgebung im Auge. Am liebsten hätte er Kalle angerufen und ihn gemahnt, besonders vorsichtig zu sein, aber er wollte ihn nicht noch mehr beunruhigen.
Nachdem er ein Taxi gefunden hatte, bat er den Fahrer, ihn zu einer Straße zu bringen, die nicht weit von Bykows Haus lag. Er durfte der Angst keinen Raum geben, er musste handeln, schon Leo zuliebe.
Auf dem Rücksitz des Taxis dachte er an Pavel. Nie hätte er geglaubt, dass sein Freund seit Kindertagen ihn verraten könnte, aber offenbar musste man auf alles gefasst sein. Auf absolut alles. Oder war Pavel erpresst worden? Hatte man Anastasia oder einen anderen Menschen aus seinem Umfeld bedroht, damit er sich zur Kooperation bereit erklärte?
Als Schuljunge war Riku oft bei Pavel zu Besuch gewesen. Wie viele andere aus seiner Klasse hatte auch er in einer Kommunalka gewohnt, in einer Gemeinschaftswohnung; seiner vierköpfigen Familie hatten ein Zimmer und ein Küchenanteil zur Verfügung gestanden. Die papierdünnen Wände, die streitenden Nachbarn und die morgendlichen Warteschlangenvor der Toilette hatten vielen die Nerven geraubt. Andererseits waren die Bewohner einer Kommunalka manchmal wie eine einzige große Familie, so etwas war durchaus nicht unüblich.
Nun, da Leo allmählich ins Schulalter kam, musste Riku oft an seine eigene Schulzeit zurückdenken. Die Schule Nummer 972 hatten fast zweitausend Schüler besucht. Wegen des Platzmangels ging man in zwei, bisweilen sogar in drei Schichten zur Schule. Durch das Fenster konnte man die militärische Schulung der höheren Klassen auf dem Sportplatz hören und sehen, und hin und wieder zogen nachmittags Kinder der Pionierorganisation vorbei, die rote Tücher trugen und Marschlieder sangen.
Im Vergleich zu Moskau hatte Helsinki sauber und leer gewirkt, leblos, und nach dem Umzug neue Freunde zu finden war nicht leicht gewesen. Riku hatte seinen Vater in Moskau besucht und seine alten Freunde getroffen, bis der Vater verschwand und die Mutter nicht mehr nach Russland fahren wollte. Als Fünfzehnjähriger hatte Riku im Fernsehen den Putschversuch im August 1991 und den Zerfall der Sowjetunion verfolgt. Drei Jahre später hatte er dann endlich seine alten Freunde wiedergesehen, auch Pavel, im Sommer nach der elften Klasse, als er alleine nach Moskau gefahren war.
Das Taxi schlängelte sich langsam durch den dichten Verkehr. Riku sah auf die Uhr und überlegte, wie Bykows Tagesprogramm aussehen mochte. Dass die Entwicklung der Ereignisse an diesen Punkt geraten war, war in vielerlei Hinsicht schrecklich, vor allem deshalb, weil Riku selbst schuld daran war. Er hatte jetzt nur ein einziges klares Ziel im Sinn: den möglichst effektiven Kampf gegen das Verbrechen. Bei der Suche nach Informationen hatte er auf Polizeidaten zurückggreifen
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