Die Schockwelle: Thriller (German Edition)
amerikanischen Bildagentur, bei der er angestellt gewesen war, gekündigt und arbeitete nun frei für einige wenige Stammkunden. Das erklärte auch, warum Elina im Internet kaum einen Hinweis auf Sebastian entdeckt hatte, obwohl bei Fotos üblicherweise der Name des Fotografen genannt wurde.
Ein Foto auf dem Arbeitstisch fesselte Elinas Aufmerksamkeit. Es zeigte eine attraktive, eigenwillig gekleidete, lächelnde Frau, und der Anblick versetzte Elina einen Stich der Eifersucht. Wer war das? Letztendlich wusste Elina noch nicht viel über Sebastian, und sie hatte immer mehr das Gefühl, dass der Mann ihr etwas verheimlichte.
Zögerlich öffnete sie die oberste Schreibtischschublade und warf einen schnellen Blick auf die Rechnungen und Quittungen, die darin lagen. Die Kontoauszüge sah sie sich nicht an, so tief wollte sie denn doch nicht sinken. Aber plötzlich fiel ihr Blick auf eine ausgedruckte E-Mail, auf der ein Name stand, den sie kannte: Vera Dobrina.
Überrascht nahm Elina das Blatt in die Hand. Vera hatte an Sebastian geschrieben: Danke für Deine Nachricht. Ja, ich bin ein Stück vorangekommen. Wir reden darüber, wenn Du kommst. Meine Telefonnummer in Helsinki steht unten.
Elina erkannte die Nummer. Nach ihrer Ankunft in Helsinki hatte sich Vera eine finnische SIM-Karte besorgt, um Telefonkosten zu sparen.
Elina blickte auf das Datum. Die Mail war am Abend vor dem Mord geschrieben worden.
Schockiert legte sie den Ausdruck in die Schublade zurück. Aus Veras Formulierung ging hervor, dass Sebastian nach Helsinki kommen wollte … Warum hatten die beiden ihr den Mailkontakt verschwiegen?
Sie ging nun dazu über, auch die anderen Schubladen systematisch zu durchforsten, aber die enthielten nichts Interessantes.Als sie gerade die Papiere, die sie der untersten Schublade entnommen hatte, wieder verstauen wollte, wurde sie auf einen dicken braunen Umschlag ohne Beschriftung aufmerksam.
Sie nahm ihn vorsichtig in die Hand und zog ein blaues Notizheft heraus: Veras Notizheft.
Elina wurde schwindlig. Die Angst packte sie. Was trieb Sebastian da? Wer war er wirklich?
Mit zitternden Händen blätterte sie in dem Heft, von dem sie im Café nur einige Seiten hatte überfliegen können. Stichworte über Ölhandel, die E-Mail-Adresse des Handelsregisters, dann eine horizontale Linie und darunter der Name Olga Rybkina und eine Adresse in Sankt Petersburg.
Auf der nächsten Seite stand der Name Kirsti Laaksonen, dahinter ein Fragezeichen. Und darunter ein weiterer Name: Ralf Tanner.
War das ein Verwandter von Riku Tanner?
Riku stand auf dem Deck der MS Princess und sah zu, wie das Schiff im Hafen von Sankt Petersburg festmachte. Mild und dunstig brach der Morgen an. Riku war schon früh in seiner Kabine aufgewacht und hatte keinen Schlaf mehr gefunden. Die Fahrt nach Sankt Petersburg würde sich womöglich als gewaltiger Fehler erweisen, aber es gab sonst keinen Korridor, auf dem er vorwärtskam. Er musste Beweise gegen Igor Bykow beschaffen, den Mann nach Finnland locken und ihn dort vor Gericht bringen. Selbst wenn es ihm nicht gelänge, Bykow Drogenkriminalität nachzuweisen, könnte der Russe in Finnland immer noch wegen Bestechung der Polizei belangt werden, vorausgesetzt, der Verräter innerhalb der Behörde würde enttarnt.
Tief atmete Riku die feuchte Luft ein. Trotz des Schlafmangels musste er in Topform sein. Er verließ mit den anderen Reisenden das Schiff, wobei er aufmerksam die Umgebung im Auge behielt. Leute, die in Häfen, auf Bahnhöfen und in Flughafenterminalsherumstanden, ließen Riku stets auf der Hut sein, erst recht in Sankt Petersburg. Er ging auf die weißen Touristenbusse mit den zwei grünen Streifen zu. Sobald alle Passagiere eingestiegen wären, würden sie zu den Sehenswürdigkeiten der Stadt aufbrechen.
Riku stieg nicht ein, sondern ging an den Bussen vorbei. Er passierte die Masten mit den Fahnen der Russischen Föderation und die Taxis und steuerte den Parkplatz an. Die Teilnahme an der Stadtrundfahrt war eine Voraussetzung für die Visumfreiheit, er hatte sie vorab bezahlt, würde aber nicht mitfahren. Viele andere, die sich in der Stadt auskannten, machten es ebenso.
Russischen Boden zu betreten war wie eine Rückkehr in die zweite Heimat. Die Farbtöne der Fassaden, der Fettgeruch, die Kleidung der Leute und ihre lebendig sprudelnde Sprache versetzten ihn in die vertraute Umgebung seiner Kindheit zurück. Die Jahre in Moskau waren voller Menschen, voller Leben gewesen. Es
Weitere Kostenlose Bücher