Die Schockwelle: Thriller (German Edition)
war auch eng gewesen, aber Riku dachte trotzdem mit Wehmut daran zurück: an den gemeinsamen Alltag der Familie, an die Theaterbesuche mit seiner Mutter und ihren Freundinnen, an die Winterabende, wenn es schneite und sie draußen spielten, an die Besuche bei seinen Freunden …
In dem Moment sah er neben einem kleinen Hyundai einen militärisch aufrecht stehenden Mann mit schwarzen Locken, der ihm winkte. Es war Pavel, sein Schulkamerad aus Moskau. Auch nachdem Riku nach Finnland und Pavel nach Sankt Petersburg gezogen war, hatten sie Kontakt gehalten. Schon während der Schulzeit war Pavel Ringer gewesen und zum Judo-Training gegangen, später hatte er seinen Unterhalt als Nahkampfausbilder bestritten. Mithilfe von Rikus Beziehungen hatte er auch die Möglichkeit erhalten, finnische Polizisten auszubilden, vor allem Männer vom SEK Bär, und dadurch viele von Rikus Kollegen kennengelernt. Als Riku mit Katja zusammen war, hatte er sie Pavel und dessen Frau vorgestellt,und selbst nach der Scheidung war die Verbindung zwischen den beiden Frauen nicht abgerissen.
Diesmal hatte Riku darum gebeten, seinen Besuch in Sankt Petersburg geheim zu halten. Er hatte Pavel erzählt, dass er beruflich in Schwierigkeiten war. In Russland vertraute man seinen Freunden, nicht den Behörden, und jetzt brauchte er die Hilfe eines Freundes.
»Wie geht es Anastasia?«, fragte Riku nach einer kameradschaftlichen Umarmung, als sie bereits im Wagen saßen.
Pavel zuckte mit den Schultern. »So la la.«
Riku kannte Pavels Problem: Sein Freund war spielsüchtig. Er hatte viel Geld verloren, was die Geduld seiner Frau auf eine harte Probe stellte. Die Ehe bröckelte schon lange.
»Wo fahren wir hin?«, fragte Pavel, als sie das Hafenareal hinter sich ließen.
»Zu einem Baumarkt.«
Pavel fragte nicht weiter, sondern steuerte den Bolschoi-Prospekt an. Sie unterhielten sich über Pavels Pläne, nach Amerika auszuwandern. Riku ahnte, dass sein Freund vorhatte, alleine dorthin zu gehen.
Vertraute Orte huschten vorbei. Hier hatte Riku Katja kennengelernt. Hand in Hand waren sie den Uferboulevard entlangspaziert. Allerdings versanken die Erinnerungen hinter den Worten Nowikows, die in Rikus Ohren widerhallten: Bykow weiß, dass du mit einem seiner Männer dein Spiel spielst … Bykow weiß nicht, wer dein Kontaktmann ist … Aber dich kennen sie. Dich können sie töten … und deinen Sohn …
Das Auto bog in eine Seitenstraße mit kleinen Läden und Restaurants ein. Pavel hielt an.
»Und jetzt?«, fragte Riku.
»Ich gehe nur schnell Zigaretten holen«, antwortete Pavel und deutete mit einer Kopfbewegung auf einen Kiosk in einem alten Mietshaus.
Ohne Riku einen Blick zu schenken, stieg Pavel aus.
Riku sah zu, wie sein Freund zu dem Kiosk eilte. Plötzlich kam ihm Pavels Verhalten seltsam und nervös vor. Er sah in den Rückspiegel. Hinter ihm hielt ein dunkles Fahrzeug an, beide Vordertüren gingen auf, zwei Männer stiegen gleichzeitig aus und kamen näher.
Sofort spürte Riku eine eisige Verkrampfung im Magen, und er warf einen raschen Blick auf den Kiosk, in dem Pavel verschwunden war. Wie viel haben sie dir bezahlt? Was bin ich wert? Fünftausend oder fünfzigtausend?
Riku stieß die Tür auf und rannte los. Die Männer folgten ihm. Er bog um die Ecke und rannte noch schneller. Vor ihm lag eine breite Esplanade, bis zur nächsten Hausecke war es zu weit. Er gab eine bewegte Zielscheibe ab.
Warum schossen sie nicht?
Sofort fiel ihm die Antwort ein: Sie wollten ihn lebend haben. Sie wollten alle notwendigen Informationen aus ihm herausquetschen, zum Beispiel die, wer sein V-Mann in Bykows Bande war. Erst dann würden sie ihn umbringen.
Vor ihm flog ein Taubenschwarm auf. Die Männer würden ihn irgendwann einholen, auch wenn er noch so schnell rannte, und die Passanten würden wegschauen, denn niemand wollte Schwierigkeiten haben. Er hastete an einem großen Denkmal vorbei und sah auf der anderen Seite der Esplanade eine Gruppe Menschen zusammenstehen. Mit einem Satz sprang er über eine Hecke hinweg und rannte über den Rasen auf die Ansammlung zu. Er schob sich durch die Menge, ohne zu wissen, wo seine Verfolger waren.
Durch sein Drängeln verursachte er Unruhe und Protest in der Menschenansammlung, und schließlich merkte er, dass er sich inmitten einer Demonstration befand. Angehörige der Jugendorganisation Naschi trugen Transparente und schrien Parolen. Riku lief einfach inmitten der Marschierer mit. Er erkannte, dass
Weitere Kostenlose Bücher