Die schöne Ärztin
Hände auf meinem Körper. Ich bin deshalb ausgebrochen aus dieser Ehe, immer und immer wieder ausgebrochen, um die Liebe zu suchen, die ich brauche. Liebe, die animalisch ist, meinetwegen verderbt, brutal – aber befriedigend und befreiend! Kann man mir das übelnehmen?«
Sie schwieg. Fritz Sassen hatte sich abgewandt und ging im Zimmer unruhig hin und her. Waltraud Born stand wie ein Schatten in der völligen Dunkelheit der Bibliotheksecke. Man hörte nur ihr Atmen und, wenn sie sich rührte, das Rascheln des Kleides.
»Ich bin keine Moralistin wie Sie!« schrie Veronika plötzlich zu ihr hin. »Sie mögen mich verachten und mich eine Nutte nennen, das kümmert mich nicht, ich verlange Verständnis für die Sehnsüchte der Natur in mir, denen ich nicht widerstehen kann!«
»Vater darf nie, nie erfahren, was jetzt hier gesprochen wurde.« Fritz Sassen blieb stehen. »Wie hast du dir das alles gedacht? Was willst du mit Cabanazzi anfangen? Soll er für immer, bis ans Lebensende, in der Laube bleiben?«
»Nein.«
»Was also?«
»Er will nach Südamerika.«
»Und du willst ihm diese Fahrt bezahlen?«
»Ja.«
»Wäre es nicht besser, du würdest dorthin verschwinden?«
Veronika zuckte unter dieser harten Frage zusammen. Ihre graugrünen Augen bettelten um Mitleid, aber Fritz Sassen sah in ihr nur die Geliebte Cabanazzis und die Frau, die seinen Vater schmählich betrogen hatte. Da gab es kein Mitleid mehr, kein Verständnis, keine Kompromisse.
»Wie willst du das deinem Vater klarmachen, daß ich nicht mehr hier bin, einfach verschwunden …?«
»Ich werde es ihm eher erklären können, als zu ihm sagen zu müssen: Deine Frau Vroni ist eine Hure!«
»Und du würdest Luigi mit mir gehen lassen?«
»Nein!« Es war ein klares und brutales Nein. »Cabanazzi gehört vor ein Gericht! Du fährst allein!«
»Dann gehe ich nicht!«
»Ich werde dich zwingen!«
»Ich habe auch noch Oliver.«
Wieder senkte sich tiefes Schweigen zwischen sie. Die Existenz des Jungen war wirklich ein Hindernis, die Dinge auf schnelle Art zu klären. Oliver war ein Sassen, aber er hatte auch eine Mutter, und wie diese Mutter auch beschaffen sein mochte, sie war für ihn der Mittelpunkt seiner kleinen Welt.
»Willst du sagen, daß du Mutterliebe jetzt als Waffe anführen willst?« sagte Fritz Sassen heiser.
»Ja.« Veronika nickte immerfort, als sei sie eine Puppe mit einem Spiralhals. »Oliver ist mein Kind, ich nehme ihn mit.«
»Auf gar keinen Fall! Das wäre der Tod von Vater. Er hängt an Oliver mit abgöttischer Liebe.«
»Dann vergeßt das alles … um Olivers willen.«
»Vergessen? Und es soll fröhlich so weitergehen? Mein Vater, der seine Frau anbetet, und seine Frau, die sich auf zerschlissenen, modrigen Matratzen herumwälzt wie eine heiße Katze? Du bist wohl total verrückt!« Fritz Sassen blieb vor ihr stehen und sah auf ihr gesenktes Haupt und die roten Haare herab. »Wir werden Cabanazzi morgen abholen und der Polizei übergeben. Ich werde dafür sorgen, daß der Name Sassen in keiner Untersuchung auftaucht.«
»Laß Luigi laufen«, bettelte Veronika. Aller Stolz, alle Würde der großen Dame, aller Glanz der großen Welt fiel von ihr ab. »Ich werde ihn wegbringen. Ich verspreche euch: Ich werde ihn aus Buschhausen wegbringen und ihn nie, nie wiedersehen. Aber gebt ihm die Chance, weiterzuleben!«
»Und was noch?«
»Ich werde dann auch gehen. Nicht sofort, sondern nach einer gewissen Zeit. Ich werde verreisen und nicht mehr wiederkommen.«
»Und Oliver?«
Sie starrte auf ihre Hände, und plötzlich weinte sie laut und mit den greinenden Tönen eines Kindes.
»Ich werde mich zwingen müssen, zu denken, daß ich nie ein Kind gehabt habe!« schluchzte sie. »Ihr seid so grausam.«
Fritz Sassen trat in die Ecke zu Waltraud Born, die bisher geschwiegen hatte und still zuhörte. »Du … du sagst gar nichts?« meinte er, und es war gleichzeitig eine Frage nach Hilfe und Rat.
»Sie ist krank«, sagte Waltraud Born leise. »Sie ist krank an der Liebe, so etwas gibt es, Fritz. Die Medizin kennt das. Es ist unheilbar. Sie müssen einfach so sein, wie Veronika ist, sie können gar nicht anders. Die Liebe, die simple körperliche Liebe ist ihr ganzes Trachten und Sinnen, ihr Wachsein und ihr Träumen. Sie leben nur für diese Liebe und werden wahnsinnig wie ein Verdurstender. Sie ist krank, Fritz. Ich habe es immer geahnt.«
»Was flüstert ihr da?« fragte Veronika mit müder Stimme. »Ist es nicht genug, daß
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