Die schöne Ärztin
denn nicht, daß wir die 1,2 Millionen vom Bund nicht bekommen, wenn wir nicht die notwendigen Sicherheitsmaßnahmen nachweisen?«
»Dann weisen Sie sie nach … aber mit den Geldern aus der Zechenkasse!« Kurt Holtmann drehte sich an der Tür des Sitzungssaales um. »Ich habe mir sagen lassen, Herr Dr. Vittingsfeld, daß Sie bei Lugano eine Seevilla für 750.000, – Mark gekauft haben. Mit Geld aus Aufsichtsratsgebühren und Aktiendividenden. Es wäre sinnvoller, diese Bezüge zu kürzen und die gewonnenen Beträge für die Sicherheit der Bergleute einzusetzen.«
»Mit einem solchen Menschen rede ich nicht mehr!« schrie Dr. Vittingsfeld. Sein Kopf war rot, als platze er jede Sekunde. »Ich werde mich nicht mehr an einen Tisch mit ihm setzen. Ich lehne es ab, überhaupt noch zu verhandeln, solange dieser Herr da ein Wort mitzureden hat!«
»Danke! Nun wissen wir, woran wir sind.« Dr. Sassen wandte sich Kurt Holtmann zu. »Komm, sie wollen es nicht anders, wir gehen. Die Ruhr – Deutschlands Stolz, hieß es einmal! Man muß dies berichtigen: Die Ruhr – Deutschlands Wohlstandsgeschwür, sollte es heißen!«
Zusammen mit Pater Wegerich verließen sie den Saal. Die beiden Männer vom Betriebsrat und der Gewerkschaft saßen wie angewurzelt. Es war für sie schwer, zu reagieren. Ihr Auftrag schien unlösbar zu sein: Für den Arbeiter, aber gutes Einvernehmen mit dem Arbeitgeber – wie soll man sich da verhalten? Am besten, man schweigt.
10.000, – Mark für jede der betroffenen Familien, dachte einer. Da könnte sich die Emma Buldraski eine neue moderne Küche kaufen, und das würde bestimmt meine Erna aufregen. Und die junge Jutta Kolwalski würde sich einen Kleinwagen kaufen und damit durch die Lande zockeln. Und was der Opa Benno Bullerkamp ist … der spekuliert schon lange auf eine neue Musiktruhe, in Stereo natürlich. Das gäbe überall böses Blut, das gäbe sogar das häßliche Gemurmel: Witwe müßte man sein – Vielleicht hat der Generaldirektor doch recht –?
»Die Sitzung ist geschlossen!« sagte Dr. Vittingsfeld. »Wann die nächste sein wird, weiß ich noch nicht.«
In der großen Werkhalle II, die sonst als Reparaturwerkstatt diente und in der die Loren, Waggons und Hunde repariert wurden und Ersatzteile für die Kokerei lagerten, fand die große Betriebsversammlung am Sonntagvormittag nach dem 10-Uhr-Gottesdienst statt.
Vor der Meisterkabine war das Podium aufgestellt, die Grubenelektriker hatten schnell eine Mikrofonanlage gelegt, das Holzgerüst und das Rednerpult waren mit schwarzem Stoff umkleidet, vor den Fenstern der Meisterkabine hingen ebenfalls schwarze Fahnen. Zu beiden Seiten des Podiums waren die Knappen in ihrer Uniform aufmarschiert, die Knappschaftskapelle stand vor dem Podium. Zweitausend Kumpels füllten die Halle, dicht gedrängt, eine Masse sonntäglich gekleideter, friedlich aussehender Männer, die vor zehn Minuten noch ihr Amen in der Kirche gesungen hatten und nun bereitstanden, der Welt zu zeigen, daß es eine Grenze der Geduld gab und der Bergmann nicht der Prügelknabe des Wirtschaftswunders sein durfte.
Zuerst sprach Kurt Holtmann. Kurz, mit Worten, aus denen Erschütterung klang. Es gedachte der Toten, und das Lied vom Guten Kameraden klang durch die Werkhalle.
Im Büro Dr. Sassens saß Dr. Vittingsfeld mit erregtem Gesicht und trommelte auf die Schreibtischplatte. Der Betriebsleiter und zwei Direktoren aus Gelsenkirchen umringten ihn. Das Lied ›Ich hatt' einen Kameraden …‹ drang zu ihnen herein, eine Demonstration, die ihnen Angst machte.
»Schlappschwänze alle!« sagte Dr. Vittingsfeld. »Die ganze Polizei ist voller Schlappschwänze. Da haben wir eine wilde Versammlung, sie ist nicht angemeldet, der Tatbestand der Zusammenrottung ist gegeben, und was tut man dagegen? Nichts. Kein Schutz, kein Eingreifen … ist das ein starker Staat? Ich werde morgen gleich beim Innenminister vorstellig werden. Wo gibt es denn sowas, daß jeder eine Massenversammlung einberufen kann und an den Fundamenten unseres ganzen Systems rütteln darf? Leben wir im Kongo? Herr Bierlich, Sie werden nachher zu den Kumpels sprechen.«
Theo Bierlich, der Betriebsleiter, wurde blaß. Er kannte seine Püttmänner. Er wußte, wie sie reagieren würden, wenn er das Podium betrat. Das glich dem Versuch, gegen ein aufgewühltes Meer anzubrüllen.
»Sprechen Sie nicht lieber selbst, Herr Generaldirektor?« fragte er. Vittingsfeld schüttelte grimmig den Kopf.
»Ich? Nein. Ich
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