Die schöne Ärztin
ich Oliver hier lasse? Was wollt ihr denn noch mehr von mir?«
Fritz Sassen trat aus der Dunkelheit der Bücherecke wieder heraus. Wenn sie wirklich krank ist, dachte er, muß man Nachsicht für sie aufbringen. So schwer es fällt, mit dieser Frau zu fühlen, die meinen Vater betrogen hat und noch immer betrügt – sie ist krank.
»Geh zu den Gästen zurück, Vroni«, sagte er heiser. »Wir wollen das alles nicht übers Knie brechen, wir können uns keine überstürzten Handlungen leisten. Laß uns später wieder darüber reden – vielleicht morgen, ja?«
»Ja.« Veronika erhob sich. Steif stand sie in dem dämmerigen Zimmer. »Und was geschieht mit Luigi?«
»Das überlasse uns.«
»Nein!« Ihr Widerstand flammte auf. »Ihr wollt ihn töten …«
»Rede nicht solchen Unsinn! Wir wollen ihn der Polizei übergeben.«
»Macht es doch kürzer! Übergebt ihn gleich seinen Landsleuten, die ihn zum Tode verurteilt haben!«
»Quatsch! Das sind Räubergeschichten.«
»Die Mafia –«
»Die findest du auf Sizilien, aber nicht hier in Buschhausen. Laß dir doch keine Märchen erzählen. Cabanazzi ist ein ganz geriebener Bursche, der alles versucht, um dich an sich zu fesseln. Deshalb seine Räuberpistolen. Er hat dich eingewickelt.«
»Nein!« Veronika blickte Fritz Sassen und Waltraud Born, die nun auch aus ihrer dunklen Bücherecke kam, mit lodernden Augen an. »Ich sehe schon, ich habe in diesem Haus nichts mehr zu erwarten. Aber ihr macht das falsch, wenn ihr glaubt, mich zum Äußersten treiben zu können. Ich habe nichts mehr zu verlieren, aber ihr! Ich stelle Bedingungen!«
»Veronika!« brauste Fritz Sassen auf. Aber Waltraud Born legte ihm die Hand auf den Arm, um ihn zu besänftigen. Ruhe, hieß das. Hör sie erst an. Denk an deinen Vater.
»Ich stelle die Bedingungen, daß ihr Luigi laufen laßt! Als Gegenleistung verpflichte ich mich, innerhalb von vier Wochen das Haus zu verlassen.« Veronika hob die Schultern, als friere sie. »Was wollt ihr Ludwig nur sagen, wo ich bin?«
»Das kann dir egal sein, wenn du weg bist.«
Veronika biß sich auf die Lippen und ging langsam zur Tür. Dort aber blieb sie stehen und warf den Kopf ruckartig zu Fritz Sassen herum. Ihre grünen Augen sprühten wie die einer Katze im Dunkeln.
»Haß gegen Haß! Wie ihr wollt! Ihr laßt Luigi laufen und ich gehe … oder ihr laßt Luigi verhaften und ich sprenge die ganze Familie Sassen gesellschaftlich in die Luft. Wir verstehen uns?«
»Ja«, antwortete Fritz Sassen rauh. Ihm blieb die Luft weg vor Zorn.
»Danke.« Veronika nickte. In stolzer Haltung, zu der sie sich wieder gefunden hatte, verließ sie die Bibliothek. Noch ehe sie die Tür hinter sich zuzog, hörten Fritz und Waltraud ihr Lachen und ihre helle, fröhliche Stimme: »Aber was ist denn, Freunde? Wo bleibt denn der Sekt?«
Fritz Sassen nagte an der Unterlippe und rückte seine Smokingschleife zurecht. »Sie hat die unheimliche Gabe, immer die Siegerin zu sein«, sagte er dumpf. »Es bleibt uns um Vaters willen gar nichts anderes übrig, als auf ihre Vorschläge einzugehen.«
Der Spendenfonds bei der Sparkasse Buschhausen wuchs und wuchs. Aus allen Teilen Deutschlands, aus dem Ausland, sogar aus Übersee flossen die Unterstützungsgelder für die Waisen und Hinterbliebenen in das kleine Bergarbeiter-Städtchen. Eine Kommission zur Verwaltung der Spendengelder mußte gegründet werden, denn nach alter, guter deutscher Art durfte ein Betrag, der in die Hunderttausende ging, nicht einfach und unkompliziert an jene ausgezahlt werden, für die er gespendet wurde, sondern das Wichtigste war zunächst, das Geld zu verwalten.
Die Zeche berief einen ›Ausschuß für Spendenzahlung‹ ein. Ihm gehörten zwei Vertreter der Direktion, zwei Abgeordnete des Arbeitnehmerverbandes, ein Gewerkschaftler und ein Betriebsratsmitglied an. Um das Zünglein an der Waage zu schaffen, wurde einstimmig auch noch ein Beamter des Sozialamtes in die Kommission gewählt, von dem man sich – ebenfalls ein Beispiel besten deutschen Denkens – einen Überblick über die ›soziale Struktur der Familien‹ erwartete.
Bereits bei der ersten Sitzung dieser Kommission ergab sich Sprengstoff, der fast ausreichte, das ganze Zechenhaus auseinanderfliegen zu lassen.
Dr. Vittingsfeld, der in Vertretung des beurlaubten Dr. Sassen die Verhandlung leitete, legte einen ›Verwendungsplan‹ der eingegangenen Spenden vor. Allein schon dieser Ausdruck brachte den als Gast der Kirche anwesenden,
Weitere Kostenlose Bücher