Die schöne Ärztin
befürchten. Cabanazzi war geflüchtet, wohin, das wußte keiner, zumindest ahnte es keiner. Wenn der Besucher jemand war, der Cabanazzi suchte, so konnte es interessant sein, Dinge zu erfahren, die man zu Cabanazzis Schutz verwerten konnte.
»Führe ihn in den kleinen Salon«, sagte Veronika deshalb zum großen Erstaunen des Hausmädchens. »Ich komme gleich.«
Enrico Pedronelli, der Reisende in Sachen Mafia, erhob sich und verbeugte sich tief, als Veronika in den Salon trat. Man ist in Italien immer höflich, vor allem in Sizilien und besonders zu einer so schönen signora wie Veronika Sassen.
»Ich bin glücklich, daß Sie mir Gehör schenken, signora«, sagte Pedronelli wohlerzogen und musterte dabei sein Gegenüber. Wie kann eine so schöne Frau sich mit einem solch windigen Hund wie Luigi abgeben, dachte er. Aber das ist ja das größte Rätsel der deutschen Frauen: So stolz sie sonst sind, vor einem schwarzen Lockenkopf werden sie weich wie überreife Peperoni.
»Bitte.« Veronika wies auf eines der kleinen, zierlichen Barocksesselchen. Pedronelli lächelte dankend, sagte aber:
»Ich möchte lieber stehen, signora.«
»Wie Sie wollen. Um was handelt es sich?«
»Um unseren gemeinsamen lieben Freund Cabanazzi.«
Also doch. Veronikas Gesicht wurde verschlossen und maskenhaft. Pedronelli kannte das. Immer der alte Trick, dachte er. Sie denken, mit dem Herablassen der Jalousien hätten sie die Fenster verschlossen. Was ist leichter, als die Riegel wegzuschießen! Daß sie nie daran denken, wie einfach die Wege sind, wenn es nur nicht an Entschlossenheit fehlt, sie zu gehen.
»Ich weiß nicht, was Sie meinen«, sagte Veronika steif.
»Signora! Wollen wir blinde Kuh spielen?« Pedronellis etwas dickes Gesicht war voll Sonnenschein. »Wir wissen, daß Sie Cabanazzi lieben, daß Sie ihn versteckt hielten, daß Sie ihm zur Flucht verhalfen. Und wir ahnen, daß er auch jetzt noch hier in der Nähe ist. Bei Ihnen, signora …«
»Sie erlauben sich Dinge …« Veronika warf den Kopf in den Nacken. Der ganze Stolz des Reichen gegenüber dem Armen kam in dieser Geste zum Ausdruck. »Bitte, gehen Sie! Mir scheint, Sie haben sogar getrunken.«
»Wie schade, signora.« Pedronelli war völlig ungerührt von dem verletzenden Benehmen Veronikas. Große Dinge verlangen persönliche Opfer, dachte er. Was ist schon eine Beleidigung? »Ich werde Ihnen eine kleine Geschichte erzählen müssen. Kennen Sie Villalba?«
»Nein!« antwortete Veronika barsch.
»Villalba ist ein schönes, kleines Bergdorf mitten im Hochland von Mittelsizilien. Wenn Sie einem Sizilianer den Namen Villalba nennen, wird er sich entweder dumm stellen, oder seine Augen leuchten auf, oder er macht in die Hose oder er bekreuzigt sich. Alles ist richtig, denn dort ist das Herz Siziliens. Dort leben wir! Die Mitglieder einer ehrenwerten Gesellschaft. Wir haben unsere eigenen Gesetze, unsere eigene Ehre, unseren eigenen Tod.«
Durch Veronika lief ein Schauder. Sie musterte Enrico Pedronelli und wußte plötzlich, daß sie hier dem gefährlichsten Menschen gegenüberstand, der ihr bisher in ihrem ganzen Leben begegnet war. Ein lächelnder, jovialer Mann … aber hinter dieser Maske wartete der gnadenlose Tod.
»Luigi Cabanazzi«, sagte Pedronelli mit sanfter Stimme, als lese er aus einem Gebetbuch vor. »Er hat drei Männer getötet, mit der Lupara, dem Gewehr mit dem abgesägten Lauf, das bei uns üblich ist. Nichts dagegen zu sagen. Aber dann hat er etwas getan, was man nie bei uns tut: Er hat auch zwei Frauen getötet, die Witwen seiner Opfer. Und dann ist er geflüchtet, nach Deutschland, hier nach Buschhausen, zu Ihnen, signora. Ein Mörder, ein Frauenmörder …«
»Luigi? … Das ist unmöglich.« Es war Veronika, als zöge man ihr den Boden unter den Füßen weg und sie falle ins Unendliche. »Luigi hat nie … nie …«
Sie dachte an den Tag, an dem sie ihm 10.000 Mark geboten hatte, wenn er Dr. Pillnitz umbrächte. Und er hatte nicht gezögert, auf das Angebot einzugehen; er hatte getötet – nur die falschen. Damals hatte sie geglaubt, Cabanazzi habe es aus Liebe zu ihr getan. Jetzt stürzte dieser Himmel ein. Ein Menschenleben galt nichts für Luigi.
Pedronelli wartete ein bißchen, bis sich Veronika innerlich wieder gefangen hatte. Wenn man einen Samen ins Feld streut, muß man ihm die Zeit geben, Wurzeln zu schlagen.
»Es ist falsch, ihn noch länger zu schützen«, fuhr Pedronelli dann sanft fort. »Ich habe den Auftrag, Cabanazzi
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