Die schöne Ärztin
Oliver schweigen würde. Er hatte diese einträgliche Verschlossenheit, die sich meistens auszahlte, von ihr geerbt. »Ich werde dir in Spanien einen schönen Reitesel kaufen«, sagte Veronika leise.
»Au fein, Mutti!« Oliver umfaßte seine Mutter und küßte sie stürmisch. »Mit bunten Troddeln, so, wie im Kino?«
»Mit allem, was du willst, mein Kleiner.« Veronika stand auf und reckte sich. Es war wie das Ausstrecken eines Raubtiers, das aus dem Schlaf erwacht. Wie dumm ich war, dachte sie dabei. Ich habe mich doch tatsächlich von diesem Pedronelli einschüchtern lassen. Ich habe wirklich geglaubt, es gäbe keinen Ausweg. Doch es gibt einen: Spanien! In wenigen Tagen werden wir dort sein, Oliver und ich. Dann sind wir sicher. Es wird keinen Cabanazzi mehr geben, keinen Dr. Pillnitz, keinen Ludwig Sassen … ich werde frei sein, herrlich frei – und ich bin jung genug, um diese Freiheit noch genießen zu können.
»Komm, Oliver«, sagte sie zärtlich und nahm die Hand des Kindes, »ich habe nebenan noch eine Schachtel Pralinen, such dir ein paar Stückchen aus.« Sie blieb stehen und hob den Kopf des Kindes hoch, indem sie ihm unter das Kinn griff. »Und was sollst du nicht?«
»Keinem etwas von Spanien erzählen, Mutti.«
»Brav so, mein Kleiner. Du und deine Mutti, wir werden durch die Welt kommen –«
Der Skandal war perfekt.
Dr. Sassen hörte sich die Erklärungen Kurt Holtmanns mit halbem Ohr an. Sabine lag auf der Couch im Appartement ihres Vaters und heulte wie ein kleines, unglückliches Kind. Dr. Fritz Sassen lief erregt hin und her und versuchte abzuwiegeln. Auch er glaubte der Darstellung Kurts nicht, mit der halbnackten Dame in seinem Hotelzimmer nichts zu tun zu haben, er war aber bestrebt, die Sache noch einmal, wie er sagte, ›mit Ruhe zu betrachten‹.
Anders sein Vater.
»Ich wünsche keine Diskussionen mehr!« donnerte dieser. »Die Situation, in der wir Sie antrafen, war zu eindeutig, Herr Holtmann. Verschonen Sie mich also mit Ihrem Gewäsch.«
»Mir geschieht Unrecht«, antwortete Kurt Holtmann verstört. »Je länger ich darüber nachdenke, desto mehr neige ich dazu, mir zu sagen, daß man mir eine Falle gestellt hat …«
»Ach nee! Und wer sollte daran ein Interesse gehabt haben?«
»Das weiß ich nicht. Aber es muß so gewesen sein.«
Dr. Ludwig Sassen sah den Mann, der um ein Haar sein Schwiegersohn geworden wäre, verächtlich an. Welch traurige Figur macht er doch, dachte er, und man sah, was er dachte. Er sollte zu seinem Fehltritt stehen, das ist Männerart. Aber dieses Leugnen, dieses Winseln … wie erbärmlich ist das doch. Hatte man aber etwas anderes erwarten können? Gibt es in den Schichten, aus denen der kommt, überhaupt das, was unsereiner Haltung nennt? Nein, eben nicht.
In diesem Augenblick vollzog sich auch wieder der innere Bruch, der schlimmer war als jeder äußere. Der soziale Gegensatz zwischen Akademiker und dem Mann aus dem Volke träufelte Galle in die Seele Dr. Sassens. Die Klassifizierung des Menschen, die nie verschwinden wird, ganz gleich, in welcher Gesellschaftsform wir leben mögen, weil der Mensch nicht anders kann, als sich Distanzen zu schaffen, um sich im Geistigen oder Wirtschaftlichen unterschiedlich zu entwickeln, brach auch bei Dr. Sassen wieder durch und stellte Holtmann außerhalb seiner Welt.
»Bitte, unterlaß das, uns für dumm verkaufen zu wollen. Falle gestellt! Das liest man in billigen Kriminalromanen. Ich habe auf deinem Zimmer gesehen und gehört, was wahr ist!«
»Es muß ein gekauftes Mädchen gewesen sein!« schrie Kurt Holtmann.
»Das nehme ich dir sogar ohne weiteres ab«, antwortete Ludwig Sassen sarkastisch. »Bitte, nenn uns aber nicht auch noch den Preis.«
»Vater!«
»Ich bitte dich zum letztenmal, auf diesen Ausdruck zu verzichten!«
Kurt Holtmann entgegnete nichts mehr. Er ging zu Sabine und berührte ihre Schulter. »Bienchen –«, sagte er leise.
Sie schluchzte auf, schüttelte seine Hand ab und vergrub das Gesicht wieder in die Kissen. Sie war in Tränen aufgelöst und begriff einfach nicht, wie Kurt so etwas hatte tun können. Als ihr Vater sie aus dem Zimmer gerufen und ihr mitgeteilt hatte, daß er das Verlöbnis als aufgelöst betrachte, weil Kurt eine fremde Frau auf seinem Zimmer habe, war sie sofort zu Kurt gerannt und hatte dort tatsächlich ein fremdes Mädchen angetroffen, das sich gerade die Strümpfe über die Beine rollte. Mit einem hellen Schrei war Sabine zurückgeprallt und
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