Die schöne Ärztin
–«
»– zu töten!« schrie Veronika entsetzt.
»Ihn der Gerechtigkeit zuzuführen, signora. Das ist in unseren Augen etwas anderes als töten. Wenn einer das tut, was Luigi getan hat, muß er sühnen, er muß dafür bezahlen. Sie müssen zugeben, daß das gerecht ist.« Er neigte den Kopf zur Seite und sah Veronika mit väterlicher Güte an. »Und nun sagen Sie mir, wo Cabanazzi ist, signora.«
»Ich … weiß es nicht.« Es klang nicht überzeugend. Das Grauen schnürte ihr die Stimme zu. Pedronelli schob die dicke Unterlippe vor.
»Signora, warum begeben Sie sich in Gefahr?«
»Gefahr?«
»Ich weiß, daß Sie wissen, wo Cabanazzi ist. Noch geschieht Ihnen nichts, wenn sie fortfahren, zu schweigen. Noch hoffe ich, ihn von allein zu finden. Gelingt mir das nicht, werden Sie uns sagen, wo er ist.«
»Ich rufe die Polizei!« schrie Veronika. »Ich weiß genau, was Sie mit Ihrer Drohung andeuten wollen!«
»Polizia … signora, wie lächerlich. Was kann die Polizei gegen uns machen? Erkundigen sie sich darüber in Italien. Die Polizei verhaftet mich … und aus dem Dunkel kommt der Schlag um so schlimmer für Sie. Kein Wort zur Polizei, kann ich Ihnen nur raten. Sie lieben doch Ihren Sohn, signora …«
Das Blut gerann Veronika in den Adern. Die Mafia hatte gesprochen, die Mafia selbst – und nicht irgendeine Figur namens Pedronelli.
Veronika Sassen war keines Wortes mehr fähig. Der freundliche, sanfte Mann aus Sizilien verbeugte sich höflich vor ihr und sagte: »Ich sehe, daß wir uns verstanden haben, signora. Dafür bin ich Gott dankbar. Er hat in Ihnen eine Frau geschaffen, in der sich strahlende Schönheit und hohe Intelligenz vereinen. Kummer schadet bekanntlich der Schönheit. Ich sehe aber ganz deutlich, daß Sie nicht die Absicht haben werden, es dazu bei Ihnen kommen zu lassen, indem wir Ihnen Kummer zufügen müßten. Leben Sie – vorläufig – wohl, signora.«
Er glitt aus dem Zimmer. Veronika starrte noch lange stumm auf die Tür, hinter der er verschwunden war. Ihr Schock löste sich erst, als Oliver auf der Schwelle erschien, um ihr zu berichten, daß er im Garten einen schlafenden Igel entdeckt habe. Veronika riß ihren Sohn wie von Sinnen an sich.
16
»Mein Liebling, mein Kleiner, mein Alles«, stammelte sie. »Du bist ja meine Welt. Noch begreifst du es nicht, aber später, wenn du größer bist, wirst du es verstehen. Kommst du mit?«
»Wohin, Mutti?«
»Wir müssen verreisen. Der Onkel Doktor hat gesagt, wie krank ich bin.« Veronika streichelte den Kopf Olivers und blickte über seine blonden Haare hinweg in den Garten. Dort hinein, abseits von der Wiesenfläche, hinter Beerensträuchern, an der Mauer, stand ein alter Schuppen, in dem Geräte aufbewahrt werden. Seit Jahren hatte ihn keiner mehr betreten, nachdem ein großer Geräteraum neben der neuen Doppelgarage gebaut worden war. Das Himbeeren- und Brombeerengestrüpp war zu stachelig. »Wir müssen weit weg, Oliver … und lange.«
»Wohin denn, Mutti?«
»Nach Spanien.« In Spanien gibt es keine Mafia, dachte Veronika. Überall auf der Welt haben sie ihre Kontaktmänner sitzen, nur in Spanien nicht. Man hat noch nie davon gehört.
»Spanien? O fein, Mutti!« Oliver schlug die Hände zusammen. »Ist das da, wo die Stierkämpfe sind?«
»Ja, mein Kleiner, dort ist es.«
»Aber die Schule, Mutti?« gab Oliver zu bedenken.
»Wir werden dir ein Attest vom Arzt holen, daß du auch krank bist und Luftveränderung brauchst. Du bist ein kluger Junge, du wirst das alles nachholen.«
»Bestimmt, Mutti, bestimmt.« Oliver hüpfte durchs Zimmer und freute sich. »Wann fahren wir?« rief er.
»Vielleicht nächste Woche, vielleicht schon früher.« Veronika zog Oliver noch einmal an sich und hielt ihn fest. »Du bist ja ein kleiner, tapferer Mann, und du mußt mir jetzt etwas versprechen.«
»Was, Mutti?«
»Du darfst Mutti nicht verraten, hörst du! Du darfst Papi noch nichts sagen, daß wir nach Spanien reisen. Es soll eine Überraschung werden. Du mußt ganz verschwiegen sein.«
»Ja, Mutti.« Oliver nickte. »Soll das überhaupt keiner wissen?«
»Überhaupt keiner.«
»Auch nicht Sabine, Fritz oder Onkel Kurt?«
»Gar keiner. Das ist ein Geheimnis zwischen dir und mir. Und ein richtiger Mann hält sein Wort.«
»Ich werde nichts, gar nichts sagen, Mutti.« Oliver nickte ernst. »Ich schwöre es dir, Mutti.«
»Das ist gut, mein Kleiner.« Veronika küßte ihren Sohn auf die Augen und atmete auf. Sie wußte, daß
Weitere Kostenlose Bücher