Die schöne Ärztin
Baumes diente ihm zur Deckung, die ihm seine Beobachtung erlaubte. Sie bemerkten ihn nicht. Er floh, als die Lust in ihm lebendig wurde, sich auf die beiden zu stürzen und sie im Augenblick ihrer innigsten Vereinigung zu töten.
Ein Teil seiner Wunschwelt war zertrümmert worden.
Um die gleiche Zeit lagen Kurt Holtmann und Sabine Sassen im Gras am Rande eines großen Baggerloches, das als ›Buschhausener See‹ zur Badeanstalt geworden war. Sie hatten sich ein stilles Plätzchen ausgesucht, abseits der Liegewiesen, auf denen die Buschhausener die ersten warmen Sonnenstunden genossen, Federball spielten oder von einem Zweimeterbrett herunter mehr oder weniger gelungene Springerkünste zeigten. Dieser stillere Teil des Sees war steiler und felsiger, nach einem kurzen Plateaustück fielen die Wände des Baggerloches senkrecht ab. Hier erreichte das Wasser eine Tiefe von 40 Metern und war kälter als am offiziellen Badestrand. Nur wenige gute Schwimmer kamen bis hierhin und sprangen von den Felsen direkt in den See.
Kurt Holtmann und Sabine Sassen waren deshalb sicher, ziemlich ungestört zu sein. Sie lagen nebeneinander im hohen Gras, Hand in Hand, blickten in die Wolken und waren glücklich. Ab und zu beugte sich Kurt Holtmann über sie, küßte sie, spielte mit ihren nassen, schwarzen Haaren und legte seinen Kopf auf ihren Bauch, der Sehnsüchte weckte.
Sie sprachen wenig. Was sollte man auch sagen? Worte schadeten nur der seligen Stille, die um sie war und in der sie schwebten, als seien sie ohne Gewicht. Wenn sie sich küßten, und wenn sie sich in die Augen schauten, wußten sie, daß das Glück zweier Menschen, die sich lieben, unermeßlich ist.
Hinter ihnen, in einem Gestrüpp aus Rotdorn, hockte seit einer Stunde der kleine Oliver. Sein Kinobesuch war nur ein Vorwand gewesen. Er hatte ein Telefongespräch Sabines belauscht und so erfahren, daß sie nicht zum Tennis ging, sondern sich mit einem Mann traf. Mit der Zielstrebigkeit eines an die Aufbesserung seines Taschengeldes denkenden Jungen war er Sabine nachgeschlichen, bis er sah, daß sie sich mit Kurt Holtmann in den Hügeln traf, und hörte, daß sie zum Buschhausener See wollten. Da holte er sein Rad aus dem Keller und fuhr eine Stunde später auch zum Strandbad. Mühsam war die Suche rund um den See, bis er sie endlich fand … ein verliebtes Paar, das sich wie im Paradies vorkam.
Nun hockte er hinter ihnen im Rotdorngestrüpp und belauschte die wenigen Worte, die von Liebe und Süße handelten und von den hundert Dummheiten, die man sagt, wenn man sich in den Armen hält. Oliver fand das Ganze schrecklich langweilig und wollte sich schon wieder davonstehlen. Die Großen sind komische Knilche, dachte er, liegen herum, küssen sich, seufzen und quatschen kaum ein Wort. Da richtete sich Sabine auf und strich sich die Haare aus der Stirn. Kurt Holtmann lag auf dem Rücken und hatte die Augen geschlossen.
»Kurt«, sagte sie.
Oliver, bereits im Aufbruch begriffen, überlegte es sich wieder anders und blieb auf seinem Platz hinter dem Gestrüpp.
»Ja, Bienchen –?«
»Ich mache mir Gedanken.«
»Aber warum denn?« Kurt Holtmann setzte sich nun auch auf. Er umschlang seine Beine mit den Armen und stützte das Kinn auf die Knie. »Ich weiß, du hast Angst, daß jemand etwas erfährt. Aber warum das? Einmal müssen sie es doch erfahren.«
»Und was dann?«
»Dann heiraten wir.«
»Papa wird es nie erlauben.«
»Weil ich nur ein armer Bergmann bin und du die Tochter des reichen Zechendirektors?« Kurt Holtmann schüttelte den Kopf. »Das spielte früher eine Rolle, Bienchen. Da gab es unüberbrückbare Unterschiede zwischen Arbeiter und Chef. Wir sind doch moderne Menschen. Ich habe zwei gesunde Arme, und wir lieben uns, das ist doch ein Kapital! Solche Dinge, wie unglückliche Liebe der Dollarprinzessin zu einem Schuhputzer, die liest man doch nur noch in billigen Romanen!«
»Du kennst Papa nicht«, sagte Sabine Sassen kläglich. »Und erst Mama …«
»Sie ist ja nicht deine Mutter.«
»Aber Papa hört auf sie. Sie ist so vornehm, daß sie neulich in irgendeiner Frauenzeitschrift abgebildet war als eine der letzten ›grandes dames‹ unserer Zeit. Darauf war sie besonders stolz. Sie würde nie dulden, daß du in die Familie kommst. Sie würde Papa so lange Szenen machen, bis er dich hinauswirft.« Sabine lehnte den Kopf an Kurts Schulter. »Ich darf gar nicht daran denken, am liebsten möchte ich ins Wasser springen und mich untergehen
Weitere Kostenlose Bücher