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Die schöne Ärztin

Die schöne Ärztin

Titel: Die schöne Ärztin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Meter! Ganz langsam!«
    Dr. Sassen war an der Grenze seiner Kraft. Er sah nichts mehr, vor seinen Augen hatten sich die Heide, der Hauer Holtmann, Waltraud Born, das hölzerne Dreibein, der Rettungswagen, die Menschen rundherum in Punkte und Kreise aufgelöst, die herumtanzten wie Seifenblasen in einem Wirbelsturm. Aber er hielt die Kurbel fest, er hörte neben sich das Keuchen Holtmanns, er spürte, wie noch eine Hand Zugriff und der ziehende Druck in seinen Armen sich minderte. »Noch zwei Meter!« hörte er jemanden brüllen. »Verdammt, nicht so schnell! Die Erde, auf der er liegt, ist ganz locker und bröckelt ab –«
    Er liegt, dachte Dr. Sassen glücklich. Er liegt. Gleich haben sie ihn, gleich wird alles vorbei sein.
    In der engen Erdröhre hing Kurt Holtmann einen knappen Meter über dem ohnmächtigen Oliver. Weiter konnte er nicht hinunter, er hatte Angst, daß das Erdnest durch die geringste Erschütterung abbrechen und Oliver dann endgültig abstürzen würde. Wie tief diese Bohrlöcher waren, konnte man zwar auf jeder Bergkarte lesen, aber was hätte das jetzt genützt, selbst wenn eine Karte vorhanden gewesen wäre? Fest stand, daß es mit Oliver aus war, wenn die Erde unter ihm noch einmal nachgab.
    Vorsichtig versuchte Kurt Holtmann, auf seinem Brett leicht hin- und herpendelnd, einen dicken Strick um den Körper Olivers herum zubringen. Mit einer Schlinge, ähnlich wie bei einem Lasso, tastete er über den Kopf und die Schultern des Jungen. Es war unmöglich. Oliver lag zu ungünstig.
    »Noch zwanzig Zentimeter runter!« brüllte Holtmann nach oben. »Dann feststellen!«
    Knirschend drehte sich noch einmal die Seilscheibe. Dann hakte Hans Holtmann den Sicherungshaken in das Kurbelzahnrad. Im gleichen Augenblick ließ Dr. Sassen los und sank gegen die Drahtseiltrommel. Die Beine knickten ihm weg, er hielt sich am Seil fest, seine Hände griffen in öliges Stauferfett. Auch Hans Holtmann lehnte sich schwer atmend gegen die Winde und wischte mit dem Ärmel den tropfenden Schweiß von seinem Gesicht.
    Veronika saß wieder auf der Kiste und starrte auf das Loch. Sie hatte die Hände im Schoß gefaltet, als bete sie leise. Aber es war kein Gebet, es waren unheimlich reale Gedanken, die sie beschäftigten. Nun, da Olivers Rettung nahe schien, da ihr die Katastrophe, ihren Sohn zu verlieren, erspart blieb, kam die andere Tragödie auf sie zu. Oliver würde nicht schweigen, er würde erzählen, daß er der Mutter nachgeschlichen war und gesehen hatte, wie sie sich mit einem fremden Mann auf der Buschener Heide getroffen hatte. Dann mußte sie eine Erklärung haben, und diese Erklärung würde gleichbedeutend mit dem Ende der Ehe sein.
    War Luigi Cabanazzi das wert? Diese Frage war dumm. Die Sache mit Cabanazzi war ein Abenteuer, weiter nichts, aber ein Abenteuer von einer Kraft der Verführung, die unwiderstehlich war.
    Mit solchen Gedanken saß Veronika Sassen auf ihrer Kiste neben dem Loch und wartete darauf, daß Oliver wieder auf die Erde gebracht wurde, gleich einer neuen Geburt. Ab und zu sah sie unter gesenkten Lidern hinüber zu ihrem Mann. Er ist alt, aber brauchbar, dachte sie. Er ist reich. Er ist bereit, für mich alles zu tun. Er würde mich anbeten. Er ist wie ein Kind in seinem Glauben an mich. Welch eine Schuftigkeit ist es, ihn so zu betrügen. Aber kann man mit Pelzen und Schmuck, Kleidern und Partys dem inneren Feuer beikommen, den Durst nach Liebe löschen, nach einfacher, simpler körperlicher Liebe, den jede Frau in sich empfindet, wenn sie noch so jung ist wie ich? Die Liebe, die er mir noch geben kann, ist wie ein Anreiz – dann, wenn der Vulkan in mir aufbricht, bin ich allein, und er liegt neben mir und schläft und schnarcht erschöpft.
    Wie wird das alles werden, dachte sie und senkte den Kopf. Morgen werden wir uns entscheiden müssen, Ludwig Sassen und ich. Morgen wird Oliver erzählen … und mein eigenes Kind wird den Anstoß zu dem Urteil geben, das über seine Mutter gesprochen wird.
    Im Bohrloch vollzog sich in diesem Augenblick eine gefährliche Aktion. Kurt Holtmann hatte sich auf das Brett gestellt, ging jetzt in die Knie und rutschte an dem gespreizten Drahtseil herunter, bis er mit dem Bauch über dem Brett lag. So hatte er die Arme frei und konnte mit dem Seil Oliver erreichen. Da das Loch zu eng war, mußte er die Beine hoch empor gegen die Wand stemmen. Wie bei einem Schulterstand, die Fußspitzen gegen die bröckelnde Erde gestützt, die Schulter auf das schmale

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